Lässt mich zwiegespalten zurück

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pmelittam Avatar

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Überfordert lässt Frida ihre 18 Monate alte Tochter Harriet zweieinhalb Stunden alleine zu Hause. Als sie wiederkommt, ist Harriet in Obhut genommen, ein Nachbar hat Frida angezeigt. Aufgrund eines neuen Gesetzes werden Frida die Elternrechte entzogen, ein Jahr lang muss sie nun, zusammen mit anderen Müttern, lernen, eine gute Mutter zu sein.

Selbst Mutter von – bereits erwachsenen – Kindern, war dieser Roman für mich ein Auf und Ab der Gefühle. Natürlich geht es gar nicht, was Frida gemacht hat, aber, was dann mit ihr gemacht wurde, geht ebenfalls nicht. Zusammen mit anderen Müttern wird sie regelrecht inhaftiert, das Anwesen von einem elektrischen Zaun umgeben, Kameras überall, in Uniformen gesteckt. Zum Üben erhält jede Mutter eine mit KI ausgestattete lebensechte Puppe, die dem jeweiligen Kind ähnelt. Der Kontakt zu ihren echten Kindern wird willkürlich gehandhabt, meistens eingeschränkt. Da fragt man sich schnell, wer den Kindern wirklich schadet.

Beim Lesen hat man dauernd ein ungutes Gefühl. Erzählt wird durchgehend aus Fridas Perspektive, was das ungute Gefühl noch verstärkt, man begleitet sie regelrecht durch ihre Verzweiflung, aber auch durch ihre Hoffnungen. Auch wenn Frida es als „schlechten Tag“ abtut, ihr Vergehen ist letztlich schlimmer als das mancher der anderen Mütter, mit denen sie nun zusammenlebt, und sie hätte wohl wirklich Hilfe gebraucht, nur eben auf eine andere Art, als sie hier bekommt.

Frida ist kein einfacher Mensch, und so sind auch meine Gefühle für sie nicht immer gleich, letztlich kommt sie mir nicht so nahe, wie ich mir das gewünscht hätte. Die meisten der anderen Mütter allerdings auch nicht. Das Personal der Anstalt überhaupt nicht, immerhin sind sie es, die die Willkür ausüben, die Mütter klein machen, und Dinge von ihnen verlangen, die oft fraglich und meistens kaum machbar sind. Muttersein wird hier als etwas dargestellt, das es gar nicht geben kann. Derweil werden die Kinder dieser Mütter, die man angeblich schützen will, bei Verwandten, oft aber auch bei Pflegeeltern untergebracht und ihnen der Kontakt zu ihrer Mutter genauso verwehrt, wie deren zu ihnen.

Der Roman ist eine Art Dystopie, etwas, was hoffentlich nie eintritt, hat aber auch eine ungute Aktualität, wenn man sich gesellschaftliche Entwicklungen anschaut, die leider im Moment oft eher rückwärtsgewandt wirken. Gut gefallen hat mir das Ende, denn es ist offen, und passt für mich sehr gut zum Rest der Geschichte.

Ich bin bei diesem Roman etwas uneins mit mir selbst. Natürlich hat er auf gewisse Weise meine Emotionen angesprochen, leider aber nicht immer für die Protagonistin, mir taten vor allem die Kinder (die echten wie die unechten) leid. Ich hätte mir eine andere Protagonistin gewünscht, mit der ich mehr hätte fühlen können. Andererseits lässt mich der Roman mit einem unguten Gefühl zurück, weil es derzeit (global) tatsächlich Tendenzen in eine ungute Richtung gibt. Außerdem: Mütter alleine auf ihr Muttersein zu reduzieren kann es einfach nicht sein, und nicht an allem ist die Mutter schuld. Wenn Jessamine Chan manche:n zum Nachdenken gebracht hat, hat der Roman schon einen Zweck erfüllt.