Auf besondere Weise intim

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Die Erzählerin von „Intimitäten“ ist Dolmetscherin am internationalen Gerichtshof in Den Haag. Ihr Leben lang war sie wurzellos und das ändert sich auch hier nicht. Sie lernt Adriaan kennen, aber dieser ist noch zu sehr mit seiner gescheiterten Ehe beschäftigt, um ihr in irgendeiner Weise Sicherheit zu geben und lässt sie wortlos zurück. Ihre Arbeit ist anspruchsvoll und anstrengend. Sie ist den Manipulationen der Mächtigen ausgesetzt und bemüht sich ihre Job gut zu machen, da sie sich ihrer Verantwortung mehr als bewusst ist. Und dann ist da noch die Sache mit dem zusammengeschlagenen Buchhändler in der Nachbarschaft ihrer Freundin, der ihr zusätzlich Rätsel aufgibt. Sie hadert mit sich: soll sie bleiben oder gehen. Die Einsamkeit, die sie verspürt, wird immer größer, genauso wie das Schweigen um sie herum.
„Intimitäten“ von Katie Kitamura ist genau das: intim. Die Erzählerin ist eine unheimlich gute Beobachterin und saugt die Nuancen ihrer Umwelt auf, um sie gekonnt zu interpretieren, aber nicht zu werten, was eine Kunst für sich ist. Sie selbst tritt dabei zurück, bleibt unscheinbar, fast unsichtbar. Der Fokus liegt auf ihrer Umwelt, auf den Gräueltaten der Politiker, auf dem Schweigen des Buchhändlers und Adriaans, auf dem Lesen zwischen den Zeilen ihrer Umgebung. Diese ganzen Heimlichtuereien werden überdeutlich und erschließen eine ganz eigene Wahrheit. Eine Wahrheit, die in übersetzter Sprache verborgen sein kann.
Mir hat „Intimitäten“ gut gefallen. Es ist komplexer als die 220 Seiten anfangs vermuten lassen und es verbirgt sich viel im Dazwischen, in den geschilderten Beobachtungen, die die Leser*innen selbst bewerten können. Die Erzählerin bleibt (meiner Meinung nach gewollt) kontur- und farblos, was im Zusammenspiel mit ihrer Umgebung unterm Brennglas eine besondere Art des Erzählens entstehen lässt und eine beeindruckende Wirkung entfaltet. Die Wahrheit dieses Romans ist komplex, wird aber ruhig vermittelt in einer lauten Welt.