Die vertraulichen Ebenen der Kommunikation

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„Intimitäten“ – ein Wort, das wie eine leicht verniedlichende Beschönigung daherkommt, entwickelt in Katie Kitamuras ruhigem und faszinierenden Roman eine besondere Dynamik. Denn auch wenn „echte“ Intimitäten durchaus eine Rolle spielen, wird Intimität in diesem feinen und stilistisch vorzüglichen Roman durch Kommunikation und – ganz besonders –Sprache erzeugt. Die Protagonistin, Dolmetscherin am Strafgerichtshof in Den Haag, fühlt sich fremd in der Stadt, fremd in der niederländischen Sprache, die sie aber zu entschlüsseln versucht, fremd in der Beziehung zu Adriaan, einem verheirateten Mann, dessen Frau ihn verlassen hat. In ihrer Arbeit wird ihr die komplexe Bedeutung des Wortes ebenso jeden Tag vor Augen geführt, wie die intime Bindung des Wortes an Aussprache und Intonation. Als Übersetzerin ist sie stets auf der Suche nach der geeigneten Entsprechung, muss aber die Herausforderung der Nuancen und der Intonation täglich anerkennen.

So wird der Roman zu einem Meisterstück der Ausleuchtung von Möglichkeiten und Grenzen der Übersetzung, Sprache und Kommunikation, wobei mit zunehmendem Handlungsverlauf immer deutlicher wird, wie außerordentlich intim und beredt vor allem die nonverbalen Signale sind. Während der Roman immer stärker ins Ungesagte gleitet, das Schweigen immer prominenter wird, werden Gesten, Blicke, die ersten zehn Sekunden einer Begegnung, ein Kopfnicken und das äußere Erscheinungsbild zu unüberhörbaren , sehr persönlichen und vertraulichen Signalen – und man stellt fest, wie viel Information (und Wahrheit) auch jenseits der verbalen Äußerungen liegt, wie viel Nähe und Intimität auf dieser Ebene vergeben wird. Der Text wird so zur überaus intelligenten Reflexion über das Zwischenmenschliche, das Beobachtbare. Während der Roman auf der Handlungsebene äußerst ruhig und zurückhaltend durch die nicht sonderlich spektakuläre Handlung gleitet, lauert doch stets unter Fassade eine intensive Spannung, die einen gebannt den Fortgang des Geschehens verfolgen lässt. Dabei entzieht sich der Roman weitestgehend der Politisierung, die man vielleicht bei dem Setting des Strafgerichtshof erwarten würde, es geht vielmehr um Themen wie Heimat, Entwurzelung, Beziehung, Freundschaft und Zugehörigkeit – auch hier bezeichnend, dass schon eine kommunizierte Geschichte Wurzeln und Nähe schaffen kann.

„Intimitäten“ ist ein äußerst kluger Roman, faszinierend, einnehmend und fesselnd, der mit seinen ruhigen Zwischentönen Intimität mit dem Leser schafft. Sprachlich sehr beherrscht und stilistisch hervorragend konsequent schlägt er in seinen Bann und wirbt für mehr Aufmerksamkeit in Bezug auf Sprache und Kommunikation.