Ein literarisches Kleinod

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anana Avatar

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Katie Kitamura hat mit „Intimitäten“ ein literarisches Kleinod erschaffen.

Der Leser folgt einer namenslosen Protagonistin welche kürzlich eine befristete Stelle als Dolmetscherin am Internationalen Gerichtshof in Den Haag angetreten ist. Sie ist Kosmopolitin, deren Identität von ihren sprachlichen Fähigkeiten nicht zu trennen ist. Schon auf den ersten Seiten wird deutlich, dass es um die damit verbundenen existenziellen Fragen geht: Wie kann man damit umgehen, sich nirgends wirklich zu Hause zu fühlen? Wie kann man sich ohne Wurzeln ein stabiles Leben aufbauen? Was darf die Arbeit einem abverlangen?

Die Protagonistin möchte in Den Haag ankommen, doch es tun sich Abgründe auf. Ihre Beziehung entpuppt sich als unsicher, ihr soziales Netz als nicht allzu tragfähig und auf Arbeit ist sie mit ungeahnten Herausforderungen konfrontiert, als sie für einen angeklagten Kriegsverbrecher übersetzen muss. Mitzuverfolgen, wie sie versucht, die auftretenden Widersprüche innerlich zu verarbeiten, den äußeren Schein zu wahren und um ihre Zukunft zu kämpfen, ist beklemmend. Beklemmend jedoch auf eine sehr gute Weise, denn die geschilderten inneren Konflikte sind äußerst glaubhaft dargestellt.

Mich haben dabei insbesondere die Einblicke in die Dolmetschertätgkeit an einem Gericht, an welchem Genozide, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen angeklagt werden, fasziniert. Sehr klug legt Katie Kitamira dar, was die geforderte Neutralität beim Übersetzen im Angesicht der Begegnung mit dem Bösen einem Dolmetscher abverlangen kann. Und das Simultanübersetzer in einem Gerichtsverfahren so viel mehr sind, als Statisten im Hintergrund.
„Intimitäten“ ist elegant, introspektiv und auf wundervolle Weise subtil.

Eine große Leseempfehlung.