Eine sprachliche Wucht

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
alena3001 Avatar

Von

„Wir alle sind außerstande, die Welt, in derweilen wir leben, wirklich zu sehen, eine Welt, die den Widerspruch zwischen ihrer Banalität und ihren Extremen in sich trägt - wir sehen diese Welt höchstens für kurze Augenblicke, und dann wieder für lange Zeit nicht, wenn überhaupt noch jemals.“ S. 94

Die namenlose Ich-Erzählerin ist neu in Den Haag, um dort am obersten Gerichtshof als Dolmetscherin zu arbeiten.
Ihre Arbeit ist wichtig und herausfordernd. Sie übersetzt für Schwerkriminelle, die schreckliche Taten begangen haben. Ihr Werkzeug ist die Sprache, Worte, die sie möglichst genau und mit jeglichen Emotionen übersetzen muss, um die Bedeutung keinesfalls zu verändern.

Mich hat dieser Ausflug nach Den Haag schwer beeindruckt. Man taucht ein in eine Welt am Gerichtshof, die man so nicht kennt.

Dieses Buch ist eine sprachliche Wucht. Ich muss sagen, dass es sich nicht besonders einfach und flüssig liest. Das liegt teilweise an den verschachtelten Sätzen, aber auch an den vielen Substantiven und an den vielen Wörtern, die nicht unserem täglichen Sprachgebrauch entsprechen. Diese sprachliche Komplexität verdeutlicht jedoch sehr gut die Komplexität der Arbeit der Protagonistin. Die juristische Welt, das Bemühen um Sachlichkeit, das Involviertsein in die wochen- und monatelangen Prozesse. Die Intimität, die zwischen Angeklagten und Dolmetschern entsteht. Schuld, Gnade, Menschlichkeit. Manchmal vermischen sich die Grenzen und dieses Buch zeigt die Nuancen zwischen schwarz und weiß, gut und schlecht, Mitfühlen und Abgründen. Schuld und Unschuld.
Woran halten wir fest?