Inhalt und Sprache perfekt abgestimmt

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missmarie Avatar

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"Ein Hauch von Unglaubwürdigkeit, und in der Aussage des Zeugen erstanden feine Risse, die sich zu Spalten weiteten, was schließlich die ganze Person, als die sich jemand vor Gericht präsentierte, in Frage stellt."

Diese Unglaubwürdigkeit durch schlechte Übersetzungen verhindern - das ist die wichtigste Aufgabe der namenlosen Ich-Erzählerin, die als Übersetzerin am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag arbeitet. Seit nicht mal einem Jahr ist sie in der Stadt, kennt kaum jemanden und soll nun als Schwangerschaftsvertretung im Verfahren gegen einen Ex-Präsidenten aus einem afrikanischen (nicht näher benannten) Staat dolmetschen. Im Gerichtssaal stellt sich bald heraus, dass etwas moralisch falsch, aber rechtlich richtig sein kann. Und die Protagonistin verliert darüber mehr und mehr ihre innere Distanz, fragt sich, um welchen Preis ihre Kolleginnen die Gleichgültigkeit wahren.

Im Vordergrund des Romans steht für mich die Frage: Was sind Stabilität und Sicherheit? Denn nicht nur innerhalb ihres Jobs scheint die Hauptfigur auf der Suche zu sein, sondern auch in ihrem Privatleben. An vielen Stellen wird zwischen den Zeilen deutlich, dass sie sich ausgeschlossen fühlt. Auch wenn das nie direkt in ihren Gedanken zur Sprache kommt, die beklemmende Stimmung bleibt. Auch die Gepflogenheiten der Niederländer kennt die Figur noch nicht gut genug, als dass sie Verhalten eindeutig deuten kann. So bleibt das ein oder andere Treffen mit potentiellen Freunden oberflächlich. Und während Jana - die einzige Freundin der Protagonistin - in ihrer neuen Wohnung Stabilität findet, ist die Hauptfigur noch immer auf der Suche nach selbiger.

Was diesen Roman so gut macht, ist seine Abstimmung von Inhalt und Sprache. Unsicherheit, Beklemmung und Distanz werden nie direkt thematisiert, sondern über die Art des Erzählers kunstvoll aufgebaut. Oft fragt sich der Leser, wieso sich die Situation gerade unwohl anfühlt. Woher die Beklemmung kommt. Das leistet Katie Kitamura über das Erzählen. Ebenso gut gelingt es ihr, Sprache und Haltung der Hauptfigur zueinander zu bringen. Als Dolmetscherin fühlt sie sich oft wie ein Medium, wie ein Gefäß, durch das die Worte hindurchgehen, so die Erzählerin. Daher wertet sie im Gerichtssaal nicht, vergisst oft sogar, worum es eigentlich geht. Stattdessen sitzt sie in ihrer Beobachterkabine, fast unbeteiligt, aber zumindest außerhalb des Geschehens. Genau mit dieser Haltung wird auch die Romanhandlung erzählt. Am Anfang fand ich diese große Distanz irritierend, je besser ich die Protagonistin kennengelernt habe, umso besser habe ich die Haltung mit der Erzählweise in Verbindung bringen können.

Auf den ersten Blick scheint Intimitäten ein ruhiger Roman zu sein, der allenfalls durch die spannenden Einblick in die Verfahren am Gerichtshof (die übrigens recht genau recherchiert wurden) an Fahrt gewinnt. Doch auf den zweiten Blick kann das Buch durch seine gelungene Verquickung von Erzählweise, Sprache und Inhalt absolut punkten.