Intimität durch Sprache

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schneeglöckchen_gk Avatar

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Die namenlose Ich-Erzählerin in Katie Kitamuras Roman „Intimitäten“ zieht nach Den Haag um dort als Dolmetscherin am Internationalen Gerichtshof zu arbeiten. Sie erzählt von ihrem Job, dem Ankommen in einer unbekannten Stadt, der Entstehung von neuen Freundschaften und einer frischen Beziehung mit einem noch verheirateten Mann namens Adriaan. Betrachtet man diese Aufzählung, könnte man vieles davon als banal oder alltäglich abstempeln. Aber die Autorin versteht es, eine interessante Erzählung daraus zu machen, die ich in kürzester Zeit verschlungen habe.

Am bemerkenswertesten waren für mich dabei die Abschnitte über die Arbeit als Dolmetscherin und die Bedeutung und Macht von Sprache im sensiblen Umfeld des Gerichts. Die Erzählerin sagt beispielsweise: „Meine Aufgabe besteht darin, den Abstand zwischen den Sprachen so klein wie möglich zu halten.“ Die Reflektionen über Sprache, das Dolmetschen und ihre Rolle in den Verhandlungen haben mir ganz neue, unverhoffte Perspektiven eröffnet. Nebenbei macht sich die Erzählerin auch Gedanken über Fragen der Schuld, der Glaubwürdigkeit, der Gerechtigkeit und wie sie in einem solchen Apparat (mit all seinen zweifelhaften Nebeneffekten) gefunden werden kann. Auf dieser Schiene sollten Leser allerdings keine zu tiefgreifenden Analysen erwarten, die Schilderungen dienen eher unterschwellig als Anregung zum eigenen Nachdenken.

Was allerdings erwartet werden kann, sind feinfühlige Beschreibungen von Menschen und Begegnungen. Außerdem gelingt es der Autorin, beiläufig und doch wirkungsvoll von Situationen zu berichten, die viele (wenn nicht alle) Frauen kennen. Die Bewertung der Rocklänge durch fremde Männer, übergriffiges Machtgebaren und anzügliche Flirtversuche seien nur exemplarisch genannt. Trotz ihrer Verwundbarkeit strahlt die Erzählerin Selbstbewusstsein aus. Katie Kitamura gelingt es, in aller sprachlichen Zartheit, eine starke feministische Stimme zu sein.


Beim vorliegenden Roman haben der Klappentext (und die Leseprobe) gehalten, was versprochen wurde und meine Erwartungen wurden nicht enttäuscht! Sprachlich hält der Text viele Highlights bereit, bewegt sich dabei aber auf gehobenem Niveau. Die direkte Rede wird ohne Anführungszeichen wiedergegeben und die Autorin hat es geschafft, dass mich dies nicht gestört hat, wie es sonst oft der Fall ist. Der Lesefluss war für mich konstant, eine sehr stimmige und gleichbleibend starke Geschichte. Es gab lediglich eine ganz kurze Phase, wo die Erzählung für mich etwas „drüber“ war, aber das fällt bei der Bewertung nicht ins Gewicht. Das halboffene Ende des Romans fand ich sehr passend und rund.

In einigen Rezensionen habe ich gelesen, dass der Titel Irritationen ausgelöst hat. Dem kann ich mich teilweise anschließen. Zwar kann ich gar nicht genau benennen, welche Erwartungen ich durch den Titel hatte und finde ihn auch nicht gänzlich unpassend. Es wird aber auch nicht eindeutig klar, warum genau diese Formulierung gewählt wurde. Am ehesten erklärt er sich mir durch die Intimität, die während des Dolmetschens unwillkürlich zwischen den Beteiligten entsteht und über die die Erzählerin mehrmals philosophiert bzw. mit der dadurch entstehenden Nähe zu manchen Personen hadert. Darauf lässt auch das wunderschön gestaltete Cover schließen. Es geht also weniger um sexuelle Intimität, genau wie die Liebesbeziehung für mich nur einer der Nebenstränge in der Geschichte darstellt.

Abschließend kann ich eine deutliche Leseempfehlung aussprechen.