Literatur vom Feinsten!

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Die im Roman namenlose Dolmetscherin arbeitet seit kurzem am Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Dort wird sie eingesetzt, die Aussage eines Expräsidenten eines afrikanischen Staates zu übersetzen. Nebenher erlebt sie die Abreise ihres Liebhabers Adriaan, der, wie sich herausstellt, auf unabsehbare Zeit, mit seiner Frau die Scheidungsangelegenheiten klären will. Sie zieht in der Zeit in seine Wohnung. In Den Haag lebt auch Freundin Jana in einer eher unruhigen, doch angesagten Gegend.

Sie wird am Gerichtshof in Französisch die ihr genannten Gräueltaten übersetzen, ebenso die Fragen der Anwälte an den Angeklagten.
Am internationalen Gerichtshof geht es um das Leid Tausender Menschen. „Wenn es um Leid geht, ist Authentizität unerlässlich. Durch inkonsistentes dolmetschen konnten glaubwürdige Zeugen unglaubwürdig erscheinen – das konnte den Ausgang eines Prozesses beeinflussen. Auch setzt Beklemmung ein, weil das Unaussprechliche, das sonst den Gerichtshof nicht verlässt offen übersetzt und genannt wird.“

So nah am angeklagten Massenmörder, irritiert sie der sehr nahe Kontakt und wirft Fragen auf zu Distanz und Nähe und wie wandelbar sie ist, auch wie Gerechtigkeit ausgelegt wird.

Ihre Begegnungen mit Adriaan, Jana, dem Buchhändler, dem angeklagten Expräsidenten, das Betrachten einer Ausstellung – all diese Wahrnehmungen gehen über das bloße Beobachten hinaus, sind erfasst mit den Sinnen, stellen die Frage, wie fragil, wie veränderlich diese Begegnungen sind, was sie bedeuten. Die Nähe und die Distanz zu Adriaan ( er bleibt irgendwie konturlos), die grenzüberschreitende Erfahrung des Buchhändlers, die ungewollte Nähe zu dem Massenmörder... Was hinterlassen sie in der namenlosen Protagonistin. Die Nähe verändert sich aufgrund ihrer Wahrnehmungen, sie selbst verändert sich.

Der Leser ist dankbar, denn aufgrund der eigenen Komplexität von Wahrnehmungen in ihm umgebenden Gegenwartsleben, eine Romanfigur zu finden, die aufgrund ihrer Intelligenz und Sinneswahrnehmung einen Anhaltspunkt, eine Vorbildhaftigkeit anbietet, die Geborgenheit erzeugt. (Und dies in der eher unsicheren neuen Umgebung der namenlosen Protagonistin).

Trotz des unspektakulären äußeren Geschehens, ein nachhallender und zutiefst bereichernder Roman, einer, der jeden aktionsgeladenen toppt. Es sind die feinen, präzisen Beobachtungen, die klare Sprache, die exakte Recherche. Auch die eigene Annäherung an die Protagonistin wird zu einer fast freundschaftlichen Begegnung. Man bleibt, wie die bescheidene Protagonistin, doch angenehm distanziert, das geschilderte Arbeits- und Alltagsleben ist nie grenzüberschreitend, eher leise erzählt, dadurch bleibt Raum für eigene Gedanken.