Zwischenmenschlichkeiten in internationalem Setting

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lillywunder Avatar

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So sehr dieser Roman auf der Weltbühne angesiedelt und von kosmopolitischen Weltanschauungen durchdrungen ist, so sehr vermag es Katie Katimura auf der anderen Seite, ins kleinste Detail zu zoomen und die feinen Unterschiede im menschlichen Handeln und deren Beweggründe zu beleuchten.

Die Erzählerin ist Dolmetscherin am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Sie ist vor kurzem erst aus New York zugezogen und hat ihr Leben bereits an vielen Orten der Welt verbracht. Nun also Den Haag, alles ein paar Nummern kleiner. Sie lernt den noch verheirateten Adriaan kennen und lässt sich auf eine Beziehung ein. Als Adriaan zu seiner Frau reist, um eine Scheidung auf den Weg zu bringen, wird sie mit jeder Woche die verstreicht, unsicherer. Sie versucht in Den Haag anzukommen, schließt Freundschaften und stürzt sich in den Prozess gegen einen Kriegsverbrecher, der sie nicht nur beruflich, sondern auch moralisch herausfordert.

Dieser Roman hat mich wirklich überrascht. Er schafft es auf unheimlich kluge Weise, die Abgründe zwischen Sprachen sowie zwischen Menschen, beschreibbar zu machen. Wie kann man verstehen, was die andere Person sagt, was sie wirklich meint, wie ihr Handeln zu deuten ist? Dolmetschen - die englische Bezeichnung "to interpret" hat sofort einen anderen Klang. Es geht nicht um eine stumpfe Übertragungsleistung, es geht immer auch um eine Interpretation. Der immensen Rolle der Dolmetscherleistung in einem Gerichtsprozess steht das Gefühl der Erzählerin gegenüber, fast unsichtbar zu sein, sich in den Worten zu verlieren. Sowohl beruflich als auch privat lässt sie sich auf Intimitäten ein, die es ihr schwierig machen, zu urteilen, Stellung zu beziehen, aus dem eigenen Leben ein klares Narrativ abzuleiten.

Was diesen Roman groß macht: die Präzision, mit der Katimura genau das in Worte fasst, was uns im Alltag häufig bloß als kurze Irritation begegnet. Ein kurzer Moment, in dem die Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit der eigenen Wahrnehmung durchscheint. In dem deutlich wird, dass unser Handeln nicht linear und kategorisch ist, sondern fließend, verschwommen, verwoben. Wie Katimura diese Komplexität in Sprache einfängt, das überzeugt auf jeder Seite.