Großartig!

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Doris Knecht trifft bei mir immer genau den richtigen Nerv - und auch mit dieser Geschichte hat sie mich vollends überzeugt!

Im Mittelpunkt steht eine Frau um die Fünfzig, die nach dem Auszug der Kinder einen neuen Lebensabschnitt beginnt. Die neu gewonnene Freiheit und Ruhe werden jedoch jäh unterbrochen, als unerwartete Ereignisse eintreten: Ihre Schwester quartiert sich in ihrer Stadtwohnung ein, ein wackelnder Zahn wird zum Symbol für Vergänglichkeit und Alter und eine alte Jugendliebe macht sich in ihren Gedanken breit …

Ich fand es großartig! Vielleicht liegt es daran, dass ich selber im gleichen Alter wie die Protagonistin bin und ich sie unglaublich nahbar und authentisch empfand. Die Art und Weise, wie die Protagonistin ihre Gedanken schweifen lässt und sich mit alltäglichen Sorgen sowie tiefgreifenden existenziellen Fragen auseinandersetzt, hat mich sofort in ihren Bann gezogen. Es ist eine Geschichte, die keine großen Dramen benötigt, um zu fesseln (auch wenn es im letzten Viertel dann doch eine Katastrophe gibt), sondern die ihre Stärke aus der präzisen Beobachtungsgabe und dem feinen Humor der Autorin zieht. Ich habe mich in vielen Aspekten wiedergefunden, besonders in den geschilderten Alltagsproblemen und den Überlegungen zur eigenen Autonomie.

Die Charaktere sind sehr gut gezeichnet. Die Ich-Erzählerin ist selber Autorin, so dass ich mich oft gefragt habe, inwieweit das Erzählte autobiografisch ist. Unabhängig davon ist sie sympathisch und lebensklug, begegnet Alltagsproblemen zwar irgendwie nörgelnd, aber auch mit einem Augenzwinkern und einer beneidenswerten Gelassenheit. Besonders begeistert hat mich, wie sich die Ich-Erzählerin in ihren Gedanken verliert – aus scheinbar alltäglichen Ereignissen entstehen tiefgehende Reflexionen über das eigene Leben – und gerade diese Gedankenströme konnte ich sehr gut nachvollziehen.
Der Schreibstil von Doris Knecht ist pfiffig, ironisch und pointiert. Der Ton wechselt nahtlos zwischen lakonischem Humor und ehrlicher Verletzlichkeit, wodurch ich das Gefühl hatte, einer klugen Freundin beim Nachdenken zuzuhören. Die Sprache ist von hoher Qualität, und die Autorin schafft es, komplexe Themen wie Selbstbestimmung, Alter und Familiendynamik leicht und zugänglich zu behandeln.

Natürlich ist das Buch kein Thriller, und trotzdem fand ich es spannend und konnte es kaum aus der Hand legen. Es herrscht ein ruhiger Grundton, dennoch ist alles lebendig und authentisch, und das Gedankenschweifen der Protagonistin hat mich oft schmunzeln lassen, aber auch zum Nachdenken angeregt. Die Metapher des Zahns als Symbol für die eigene Endlichkeit hat mir sehr gut gefallen und zieht sich als roter Faden durch die Geschichte. Ich fühlte mich der Protagonistin und ihrer inneren Welt sehr nahe und war traurig, als ich das Buch beendet hatte – das Ende ist aber ein sehr schlüssiges, und der Abschluss rund und gelungen