Jacob beschließt zu lieben - ein großer Roman

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brenda_wolf Avatar

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Catalin Dorian Florescu ist mit ‘Jacob beschließt zu lieben’ ein wirklich großer literarischer Wurf gelungen. Mich hat die Geschichte um die Familie Obertin, die sich über 300 Jahr erstreckt, total begeistert.

Der Roman setzt ein im Juli 1924. Während ein heftiger Sturm übers Land fegte kam der Vater des Ich-Erzählers nach Triebswetter. Jakob-ohne-Nachnamen, ein Habenichts. Er kam mit der festen Absicht Elsa, die Amerikanerin zu heiraten. Er hatte von ihr in der Zeitung gelesen und war aufgebrochen seinem Leben eine glückliche Wendung zu geben. Er verlor keine Zeit. Gleich beim ersten Treffen machte er ihr einen Antrag, nach drei Wochen fiel er über sie her und sie fügte sich seinem Willen. Nur eines forderte sie: “..wir werden uns siezen. Wir werden uns immer siezen.” Diesen Vorsatz hielt sie ein Leben lang durch, dennoch wurde ihr Leben fortan von einem Mann bestimmt, der so widersprüchlich, so maßlos war, dass sie ihm nicht gewachsen sein konnte. Eineinhalb Jahre später wurde sie seine Frau. Sieben Monate später kam Jacob, aber mit c, auf einem Mistkarren zur Welt.

Sein Vater lehnte ihn von Anfang an ab. Als er ihn zum ersten Mal sah, sagte er: “Ein Schwächling. Er sieht mir überhaupt nicht ähnlich.”Jacobs Kindheit war von vielen Krankheiten geprägt. Jacob bemühte sich stets um die Anerkennung des Vaters, er fürchtete und bewunderte ihn. Doch sein Vater sah in ihm nur einen Nichtsnutz, dem es an Kraft und Stärke fehlte. Er verachtete seinen Sohn. Menschliche Wärme bekam Jacob nur vom Großvater und der Zigeunerin Ramina. Von der Mutter war nichts zu erwarten. Sie ging ins Haus beten.

In Rückblenden erfährt man von der Geschichte der Vorfahren. Caspar, der erste Obertin, war Soldat im 30 Jährigen Krieg. 1635 war er wegen des höheren Sold zu den Schweden übergelaufen. Er ist ein Mann, dem jegliches Gefühl im Krieg abhanden gekommen ist. Ohne zu zögern ermordet er , nach seiner Flucht aus der Armee, eine Familie, bis auf ein Mädchen, das er sich später zur Frau nimmt, weil er glaubt, sie hätten sich seinen Hof - an den er nur noch eine vage Erinnerung hatte- während seiner langen Abwesenheit angeeignet. Aber Caspar hatte sich geirrt, das Land gehörte ihn nicht.
100 Jahre später macht sich Frederic, ein Nachkomme Caspars, von Lothringen aus auf in den rumänischen Banat. Er genießt bald hohes Ansehen als Gründer und Richter des Dorfes Triebswetter.

Die Geschichte Jacobs ist in den Jahren zwischen 1920 bis 1950 angesiedelt. Aberglaube und Mystik beherrscht den Alltag der Menschen in Triebswetter. Aber auch der Schnaps war überall zu finden. Kopulation und Schnaps entschädigte die Männer vom harten Leben.. Man lebte sein Leben in Pflicht und Arbeit .Und man half sich gegenseitig, denn Helfen war Ehrensache.
Ramina, die Zigeunerin nannte es ein Dorf für Selbstmörder und Pechvögel.

Über die Geschichte der so genannten Donauschwaben habe ich nebenbei sehr viel erfahren. Aber auch der 30jährige Krieg und der 2. Weltkrieg kommt in der Geschichte vor. Der Gröfaz hielt Einzug in Triebswetter. Jeden Sonntag nach der Messe stellte der Pfarrer sein Blaupunkt-Radiogerät vor der Pfarrei auf und man lauschte der Stimme, wie bei einer Fußballübertragung.
Die jungen Männer zogen gegen Rußland in den Krieg. Sie kamen zurück, mit den Füßen voraus. Die große Glocke läutete für sie allein. Die Toten wurden auf die Felder gebracht, damit sie sich ein letztes Mal von der Erde verabschieden konnten. Eine dunkle Zeit brach an. Die Zigeuner wurden deportiert. Und dann kamen die Russen nach Rumänien. Eilig wurden alle verräterischen “deutschen” Gegenstände aus dem Haus entfernt. Der Vater befahl: “Ab jetzt sind wir Rumänen. Verstanden?”

Catalin Dorian Florescu erschuf kraftvolle Figuren. Die Männer der Obertins waren alle von einem einem unbändigen Kampfes- und Überlebenswillen beseelt. Die Frauen spielten hingegen nur eine untergeordnete Rolle, was ich schade fand. Ich hätte gerne mehr über die Frauen erfahren, deren Kraft für mich stellenweise dennoch zwischen den Zeilen spürbar wurde. Für Jacob hätte ich mir ein besseres/zufriedenstellenderes Ende gewünscht. Der Titel des Buches ist für mein Empfinden total irreführend. Von Liebe ist wenig die Rede. Jacob hatte zwar eine Jugendliebe, aber er verlor sie noch bevor etwas wirklich Großes entstehen konnte. Oder ist die für mich unbegreifliche Liebe zum Vater gemeint? Sein Vater hat ihn zweimal böse verraten. Kann man diesen Menschen lieben?

Mein Fazit:
Ein anspruchsvoller Roman, den man nicht so einfach herunterlesen kann. Er hallt noch lange nach und regt zum Nachdenken an. Von der wunderschönen bildhaften Sprache, die kraftvoll und doch poetisch ist, bin ich noch ganz hingerissen! Manche Sätze waren einfach zum Dahin schmelzen schön, die habe ich mir buchstäblich auf der Zunge zergehen lassen, wie ein leckeres Eis.