Letztlich doch nur ein Migrantenroman?

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wandablue Avatar

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Letztlich doch nur ein Migrantenroman?

Mir fehlen etwas die Worte für diese Provokation in Buchstaben. Ja, was schreibt Martin Kordic da? Es ist die Geschichte eines Migrantenkindes, eines Jugendlichen vom Balkan, mit seiner Familie in Ludwigshafen zu Hause, später allein in München. So weit, so gut. Es ist die Geschichte eines hoffnungsfrohen Beginns und eines Scheiterns, so weit ebenfalls gut.

Aber. Die angebliche Liebesgeschichte zwischen Martha Gruber, einer Professorin aus Heidelberg, die in ihrem (dortigen) Haus die Mutter von Zeljko als Putzfrau beschäftigt, ist nicht nur deshalb merkwürdig, weil eine Frau in den besten Jahren sich mit einem Einfaltspinsel von 15jährigem Jungen beschäftigt und im Verlauf des Romans mit ihm eine Affäre anfängt. So etwas mag es geben. Aber diese Geschichte ist insofern völlig unglaubwürdig, weil Martha (Gruber) Zeljko über (die) Jahre hinweg überaus großzügig finanziell aushält. Dieses Aushalten wird außerdem vom Ich-Erzähler Zeljko idealisiert, bleibt aber im Kern genau das: Die Geschichte herablassender Ausbeutung auf der einen Seite und die Geschichte vom ausnehmenden Studenten auf der anderen Seite, es ist im Kern die Geschichte einer schön geredeten Prostitution. Um ein gewisses Gleichgewicht zu herzustellen, bleibt dem Autor nichts anderes übrig, als Martha gegen Ende des Romans jämmerlich krepieren zu lassen.

Wäre diese Storyline nicht schön geredet, sondern im Ergebnis als promiskuitiv, ausbeuterisch und ausnutzend benannt, weil und wie sie es ist, würde mir die Idee gefallen. Aber die Idealisierung dieser Konstellation ist, gelinde gesagt, unfein. Oder meint es der Autor dann doch nicht so und will nur provozieren? Danke, ist gelungen.

Als es Zeljko, der sich der Einfachheit halber Jimmy nennt, endlich gelingt, nicht nur einen Studienplatz zu bekommen, sondern auch im Olympischen Dorf in München ein Appartment zu ergattern, könnte sein Leben so allmählich anfangen, in die gewünschte Richtung zu gehen, sozialer Aufstieg im Visier. Da seine finanziellen Mittel beschränkt sind, arbeitet er nebenbei als Kellner im Balkangrill eines Bekannten, wo er auf seinen Dozenten und späteren Mäzen, den Blender Alex Donelli trifft...

Der Kommentar:

Die Liebesgeschichte, in der Sex einerseits hinausgezögert, andererseits promiskuitiv eingesetzt wird, ist in höchstem Maße unglaubwürdig, aber wenigstens ein Einfall. Dass Zeljko seinem Dozenten Donelli auf den Leim geht, sich jahrelang für ihn krumm legt und doch leider gar nichts anderes von ihm gelernt hat, als wie man Schein für Sein ausgibt, nimmt den Leser, der dieses Gefüge natürlich schneller durchschaut als der Protagonist, durchaus gefangen. Der ganze Roman ist sehr gefällig geschrieben, mit leichter Hand, mit leiser Melancholie durchzogen. Die Campuslinie des Romans könnte man als Kritik am Universitätsbetrieb ansehen. Aber, dass Zeljko alles, was ihm passiert, nur passiert, weil er Migrant und nicht von Geburt an Deutscher ist, wie der Roman suggerieren möchte, ist Humbug. Donelli geht er auf den Leim, weil er im Grunde seines Wesens ein passiver Mensch ist. Er informiert sich nicht, er agiert auch nicht, er reagiert auf zufällige Gegebenheiten, nicht deshalb weil er ein Migrant ist, sondern weil er Zeljko ist.

Im Berufsleben bringt er nichts auf die Reihe, aber auch daran sind laut Ich-Erzähler die anderen Schuld, diejenigen, die ihr Hab und Gut durch ihre Großväter vererbt bekommen haben, die es sich wiederum unrechtmäßig in Deutschland angeeignet haben. Selbst wenn. Ist das weder Grund noch Entschuldigung für Zeljkos Inaktivität.

Was an dem Roman „Jahre mit Martha“ ärgert, ist seine Interpretation durch den Ich-Erzähler. Man fragt sich, ob es auch die Interpretation des Autors ist. Man kann es nicht wissen, doch alles, was Zeljko und seiner Familie zustößt, liegt laut Ich-Erzähler am Migrantenstatus. Doch auch andere Menschen haben Probleme. Und auch Migranten haben einen individuellen Charakter. An dem sie leiden, zerbrechen oder wachsen.

Als der Protagonist sich von seiner Depression erholt - eine Phase, in der er gewissenlos daran mitarbeitet, dass die Sozialinstitutionen abgezockt werden und sich dann noch beklagt, dass bei einem Telefonat mit einer Sachbearbeiterin des Sozialamtes kritische Fragen gestellt werden, woraus er den Vorwurf der Betrugsabsicht heraushört - was ja stimmt, aber der Icherzähler argumentiert, die andere Seite am Telefon könne dies doch nicht wissen, nur vermuten, er also eine eine Schuldumkehr vornimmt - (wobei einem die Hutschnur platzt), kehrt er heim in den Schoß der Herkunftsfamilie. Immerhin liegen auf dem Grill jetzt drei „kulturell diverse“ Speisen: „deutsche Frikadelle, sudanesischer Hackfleischspieß, balkanesische Cevape.“ Ein versöhnliches Ende? Wie mans nimmt und wie man es interpretiert. Die armen Migranten? Die selbstmitleidigen Migranten? Was erwarten sie denn? Dass in der ersten Generation einem die gebratenen Tauben in den Mund fliegen? Liest man Romane über die Emigranten in den USA während oder nach dem Zweiten Weltkrieg, Emigranten aus bekannten Gründen, kann man nichts anders sagen, als, dass es normal ist, dass es einige Generationen dauert, bis man sich etabliert hat. Auch Vorurteile und Chancenungleichheit sind ziemlich normal, wenn auch nicht wünschenswert. Man ist Gast. Und wird erst mit der Zeit einer, der dazugehört. So ist es nun einmal auf der ganzen Welt. Diese Ichbeklagemichmentalität geht mir auf die Nerven. Diese Ichbeklagemichmentalität und ich brülle es in die Welt hinaus, lehne ich kategorisch ab.

Fazit: Gut geschriebener Roman, der allerdings alles in eine Farbe taucht, die ich abkratzen möchte. Gendern im Text: Wenn es keine Studenten geben darf, nur noch Studierende, warum bleiben dann Akademiker Akademiker? Sollten es nicht Akademisierende sein? Gendern ist so absurd.

Kategorie: Roman mit Anspruch. Migrantenroman.
S. Fischer, 2022