Der Baum als Zufluchtsort

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Von 1946 bis 2018, über drei Generationen und Teilen hinweg, schildert der Autor Andreas Wagner anhand einer Familie die Auswirkungen von Umweltzerstörung, Vertreibung und Heimatsuche. Die Familienälteste Leonore muss kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges aus ihrer Heimat Ostpreußen flüchten und landet nach einer grausamen und jahrenlangen Flucht in einem kleinen Dorf zwischen Köln und Aachen - Lich-Steinstraß. Dort findet sie zwar Arbeit in einer traditionellen Bäckerei, wird aber von den Dorfbewohnern beäugt und als Fremdling gesehen. Zuflucht, Hoffnung und Kraft schenken ihr die Waldbesuche im alten Bürgewald, dem Hambacher Forst. Dort pflückt sie Maiglöckchen und es passieren leicht übersinnliche Begebenheiten, die auch zu der Geburt ihres Sohnes Paul führen.

Diesen sieht der Leser im zweiten Teil in den 70er-Jahren heranwachsen - auch er hat die Liebe zu den Bäumen und dem Wald von der Mutter geerbt. Doch auch Paul hat mit seiner Heimat- und Identitätssuche seine Probleme - Lich-Steinstraß wird wegen des Braunkohletagebaus nach Jülich umgesiedelt und er muss die von ihm weiter betriebene Traditionsbäckerei der Mutter auflösen.
Im dritten Teil geraten seine eigenen, sehr unterschiedlichen Kinder Jan und Sarah durch die gesellschaftlichen Ereignisse am Hambacher Forst heftig aneinander. Jan ist Baggerführer und arbeitet an der Rodung des Waldes, während Sarah in einer Baumhaussiedlung den Aktivisten beiwohnt. Am Ende kommt es zu einem kleinen Showdown, der keinen der Beteiligten unberührt lässst.

Andreas Wagner erzählt still und einfühlsam - er versteht es, Charaktere zu zeichnen und hier ist ihm besonders gut Leonore mit ihrer Suche nach Heimat und Ritualen gelungen. In schöner bildhafter Sprache zeichnet er auch die gesellschaftlichen und industriellen Veränderungen auf, welchen besonders kleine dörfliche Betriebe unterliegen und natürlich hochaktuell im letzten Teil die Diskussion und Proteste und schließlich die brualte Räumung des Camps im Hambacher Forst. Fürwortler und Gegner kommen zu Wort.

Der rote Faden über die Generationen und Jahre hinweg ist die Verbundenheit mit den Bäumen und leicht surreale, mystische Vorkommnisse. Auch das wunderschöne Cover mit den Maiglöckchen findet sich symbolisch in dem Roman immer wieder.
Mit kleinen Schwächen am Ende ist dieses emotionale und konfliktbeladene Debüt über Heimat, Umweltschutz und dem Braunkohle-Abbau, fein gewebt in eine generationsübergreifende atmosphärische Familiengeschichte, gelungen.

"Alles hier war echt. Alles war Geschichte. Alles war Natur." (S. 114)