Liebeserklärung!

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»Es gibt keinen Gott, Kind. Es gibt die Religion, aber ihren Gott, den gibt es nicht. Ihre Religion sagt, dass wir am Ende unseren Lohn bekommen. Allerdings sagt sie offenbar nichts über ihre Bestrafung. Aber wenn wir in ihrer Nähe sind, glauben wir an Gott. O Herrmhimmel, wir glaum ganz doll an dich. Die Religion ist bloß ein Kontrollinstrument, das sie anwenden und an dem sie festhalten, wenn es ihnen passt.«

Disclaimer: Das ist keine Rezension, das ist eine Liebeserklärung! Denn Percival Everett hat sich mit seinem »James« für alle Zeit in mein Herz geschrieben und mir – nicht zuletzt aufgrund der fantastischen Übersetzung von Nikolaus Stingl – schon im Frühjahr ein Jahreshighlight beschert, indem er Mark Twains »Huckleberry Finn« aus der Sicht des Sklaven Jim (James!) neuerzählt und so den Abenteuerklassiker der amerikanischen Literatur völlig neu erfindet. Hier stimmt für mich einfach alles: die Geschichte, klug komponiert und hinreißend erzählt, entwickelt sich schnell von seinem jugendlich-abenteuerlustigen Vorbild weg, hin zum adult-politischen Meisterwerk, das Rassismus und die strukturelle Ausbeutung von Menschen anprangert. »James« ist somit eine Art stille Anklage, die an den Grundfesten des amerikanischen Gründermythos rührt und die (Literatur-)Geschichte völlig neu denkt. Dabei verliert Everetts meisterhafte Erzählung nie an Witz, bleibt stets fesselnd, provokant, subversiv – und doch auch immer an der Originalgeschichte des »Huckleberry Finn« dran. Vielmehr erleben Lesende eine Fokusverschiebung, erfahren endlich die Teile aus Jims Geschichte, die in Twains Plot keinen Platz gefunden haben. Dafür gibt es einige neue Ideen und viele Überraschungen!

Vorwissen braucht es nicht. Everett führt seine Figuren nachvollziehbar ein und spart auch zu den historischen Hintergründen keine Informationen aus – auch nicht die Bestrafungen der Sklav:innen. Seine Erzählart hat mich sehr an Größen wie »12 Years a Slave« und »Emancipation« erinnert. Allerdings, und hier sind wir wieder bei dem Meisterhaften dieses Romans!, schafft Everett es diese schweren Themen mit mehr Leichtigkeit zu erzählen. Tatsächlich ist wohl die größte Stärke des Buches, dass es für James selbst in einer hoffnungslosen Lage, in einer hoffnungslos verdorbenen Welt, trotzdem immer auch irgendwie noch Hoffnung gibt. Und das hat mich auf der letzten Seite so sehr gecatcht, dass ich weinen musste. »James« ist nun für immer in meinem Herzen, aber ich freue mich, dass Percival Everett bereits mehr als 20 Romane geschrieben hat, die ich noch entdecken kann! Riesengroße Leseempfehlung für dieses Herzensbuch – vertraut mir hier, auch wenn es diesmal keine Inhaltsangabe gab ! 😘