Zutiefst packender Thriller!

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marionhh Avatar

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Louisson im Juni: Die südfranzösische Stadt stöhnt unter einer ersten Hitzewelle, genannt „Hexenhitze“. Der Deutsche Leon Bernberg sucht Inspektor Christian Mirambeau auf, um seine seit mehr als 10 Jahren vermisste Zwillingsschwester Lune für tot erklären zu lassen. Über seine Motive, nämlich das beträchtliche Erbe einzustreichen, lässt er ihn zunächst im Dunkeln. Mirambeau will nicht einfach ein Dokument ausstellen, ohne eine Untersuchung durchgeführt zu haben, und beginnt Lunes Aufenthaltsorte zu recherchieren. Was als Routineeinsatz begann, wächst sich bald zu einem ausgewachsenen Kriminalfall aus. Mirambeau wird immer besessener von der unbekannten Deutschen, taucht tief in Lunes Leben ein, vernachlässigt Frau und Kinder und gerät außerdem zunehmend in den Bann Leons. Als kurz nacheinander eine junge Frau und zwei Männer ermordet aufgefunden werden, wird schnell klar, dass alles mit der vor Jahren verschwundenen Lune zusammenhängt...

WARNUNG: Wenn Sie alles um sich herum vergessen wollen, keine sozialen Kontakte mehr pflegen, keine Hausarbeit mehr erledigen und auch keiner geregelten Arbeit mehr nachgehen wollen, dann fangen Sie ruhig an zu lesen! Wenn Sie zudem tief in menschliche Abgründe blicken und sich erschreckt fragen wollen, ist so etwas wirklich möglich, dann lesen Sie bis zum Ende. Wenn nicht, lassen Sie´s, denn dieses Buch wird Sie nicht mehr loslassen.

Es ist nicht nur einfach „gut“, „flüssig“ oder „eingängig“ geschrieben, es liest sich nicht nur einfach „gut herunter“ – das ist zweifellos auch der Fall, aber es ist viel mehr als das. Es ist dermaßen fesselnd und auf gruselige Weise spannend, dass man als Leser wirklich eintaucht in das Leben der (fiktiven) Stadt Louisson. Man spürt die Hitze, streift durch die Gassen, luschert in dunkle Hauseingänge und fühlt dermaßen mit Mirambeau mit, dass man selbst ganz besessen wird von Lune und ihrer Geschichte. So wie der hochintelligente Leon seine Umwelt manipuliert, tut er dies auch mit dem Leser – man verfällt der Geschichte mit Haut und Haaren. Auch wenn immer mehr Ungeheuerlichkeiten ans Licht kommen und man nach einiger Zeit ahnt, wie alles zusammenhängt, tut das der Spannung keineswegs einen Abbruch, im Gegenteil, die Häppchen werden so geschickt platziert und serviert, dass man einfach immer weiter lesen muss. Die Auflösung ist denn auch durchaus befreiend.

Optisch kommt das ganze Buch in düsterem Soft Cover daher, schwarz die alles beherrschende Farbe, zusätzlich betont durch die ebenfalls gefärbten Schnittkanten, schwarz wie die Nacht und die Seele der Menschen. Die Geschichte spielt über einen Zeitraum von lediglich 12 Tagen, in welchen die Ereignisse sehr geballt auftreten, und die Spannungskurve steigt zum Ende hin stetig an. Abgerundet wird das Ganze durch einen kurzen Epilog. Als zusätzlicher kleiner Bonus darf man danach noch einen neuen Ermittler aus dem Odenwald probelesen. Das schafft man aber erst einmal gar nicht, man ist zu sehr geschafft vom eben Gelesenen, dass man erst einmal eine Pause braucht.

Die Charaktere tun ihr Übriges, allen voran die Hauptfiguren Leon Bernberg und Mirambeau. Leon weckt sehr zwiespältige Gefühle, passend zum Symbol des Januskopfes, und auch Lune ist nicht immer durchweg sympathisch, was das Mitleidsempfinden mitunter sehr einschränkt. In einen Monat mit zwei Vollmonden („Blue Moon“) geboren, wird sie sogar von ihrer Mutter verteufelt. Wie sie wirklich ist, bleibt lange unklar. Mirambeau hingegen präsentiert sich als aufrechter, loyaler Charakter, der sich hartnäckig in den Fall verbeißt. Er findet, dass jeder es verdient, dass nach ihm gesucht wird, was einerseits für ihn spricht, andererseits vernachlässigt er jedoch Frau und Kinder und ist dermaßen verblendet und besessen, dass man ihn oft am Liebsten schütteln möchte. Der Leser erfährt mehr Details und diese auch eher als Mirambeau durch die verschiedenen Sichtweisen, nämlich einmal direkt durch Leons Perspektive, besonders jedoch durch Lunes indirekter, denn deren Erlebnisse werden uns durch ihre Briefe an Leon näher gebracht. Diese geschickten Wechsel halten den Leser bei der Stange und geben ihm exakt soviel Informationen, um sich das Eine oder Andere zusammen zu reimen, und lassen gleichzeitig soviel offen, um die Spannung zu halten.

Fazit: Superklasse Thriller voller Spannung und Symbolik, packend bis zum Schluss, mit der richtigen Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche, nicht zu blutig, aber mit doch genügen entsetzlichen Details um zu schockieren. Der weitgereisten Autorin merkt man ihre Liebe zum Schreiben und ihre Vereinnahmung durch ihre Figuren an, für den Leser ein echter Glücksfall. Zum Lesen dringend empfohlen!
PS: Der nächste „Blue Moon“ ist übrigens im Juli dieses Jahres....