Der Ghan ist nicht der Orient-Express

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diebuchprüferin Avatar

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Der Ghan ist nicht der Orient-Express, und dafür gibt es zwei Gründe: 1. Der Ghan fährt durch Australien und nicht durch Südosteuropa. 2. Benjamin Stevenson ist nicht Agatha Christie. Klar so weit.

Aber der offensichtliche Verweis auf dem Cover war wohl einfach zu gut für die PR-Abteilung von List, um ihn nicht zu bringen. Und zugegeben: Beide Bücher sind Krimis, spielen in überschaubarer Szenerie mit überschaubarem Personal - und ja, die Strecke beider Züge hat ungefähr dieselbe Länge. Dennoch enden hier die Gemeinsamkeiten.

In Christies Roman, der 32 Kapitel zählt, wird bereits im fünften gemordet; in Stevensons gut 35 Kapitel langem Buch wartet man bis zum elften. Und in gewissem Sinn fasst das einen Teil des Problems zusammen: Es dauert verdammt lange, bis was passiert. Wie der Ich-Erzähler immer wieder wortreich mit direkt an die LeserInnen gerichteten Einwürfen erläutert, müssen erst mal die Figuren in Position gebracht werden, bevor es so richtig zur Sache gehen kann. Das stimmt natürlich, zieht sich als reine Vorbereitungsphase aber trotzdem. Und da sind, wie gesagt, diese Einwürfe.

Ein paar Autoren, die zusammen für ein festivalartiges Event in einem berühmten Zug durch die australische Pampa reisen, jeder von ihnen mit unangenehmen Macken oder verdächtigen Attitüden, dazu die Agentin des Erzählers und seine Freundin sowie einige begeisterte Fans: Das ist eigentlich ein interessantes Setting, das man zu angenehmem Grusel oder unerträglicher Spannung hätte steigern können. Aber gerade die Einwürfe sind bestens dazu angetan, das zu verhindern. Ohne Zweifel witzig, gewähren sie einerseits einen guten Blick auf den ebenso unsicheren wie von sich eingenommenen Erzähler und andererseits auf das Handwerk des Krimischreibens. Doch nicht nur kam da bei mir das Gefühl von "Thema verfehlt" auf, es wurde mir auch schlicht zu viel. Zu viel Zwischengeplapper der Ich-Figur, zu viel Erklärung, zu viel Wiederholung von bereits Erklärtem.

Als es endlich richtig aufregend wird, sind schon drei Viertel des Buches rum - und das ist wirklich schade. Auch wenn die Auflösung vielschichtig gestaltet ist und noch einige beachtliche Wendungen zu bieten hat, kann sie den Gesamteindruck nicht mehr abwenden. Dieser Krimi ist aus meiner Sicht allzu cozy, und kommt - ähnlich wie ein viele Hunderte Tonnen schwerer Zug - allzu langsam in Fahrt.

Stevensons Reise damit hat mich leider irgendwo auf der Strecke verloren.