Tiefgründiger als gedacht

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kräuterhexe87 Avatar

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Lillian und Valerie sind seit ihrer Kindheit unzertrennliche Freundinnen - und das obwohl sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Sie verbringen viel Zeit miteinander, telefonieren, schreiben sich Briefe und tauschen Kochrezepte aus. Doch Lilly, selbstbewusst und lebensdurstig, entwickelt sich schon bald in eine gänzlich andere Richtung als die schüchterne, nachdenkliche Val. Die beiden werden sich immer fremder und schließlich kommt es zum Bruch, der eine lange Zeit der Funkstille zur Folge hat.

Das Buch beginnt mit einer e-Mail Valeries an Lilly viele Jahre später, in der sie vorsichtig versucht, sich ihrer alten Freundin wieder anzunähern. Anfangs scheint alles so zu sein wie früher und erleichtert tauschen die beiden die neuesten Neuigkeiten aus. Doch nicht lange und es treten auch die längst vergrabenen, aber nie vergessenen Streitigkeiten zutage. Schuldzuweisungen, verletztes Vertrauen,... Kaum haben sich Val und Lilly gefunden, sind sie auch schon wieder wütend aufeinander und der Kontakt bricht erneut ab. Dafür erfährt der Leser nun durch viele alte Briefe, oft verbunden mit Rezepten, etwas über die Jugend der beiden. Die genauen Umstände des Streits werden jedoch erst im dritten Teil des Buches klar. Hier sind es nicht mehr die Briefe, die eine Geschichte erzählen, sondern reine Prosa - abwechselnd aus Valeries und Lillys Sicht. Und die Freundinnen erhalten eine letzte Chance, ihre alten Verletzungen zu heilen.

"Johannisbeersommer" ist definitiv ein bewegendes Buch, bei dem auch der Lesegenuss nicht auf der Strecke bleibt. Auf den ersten Blick erschien es mir als locker-leichte Lektüre, eher oberflächlich und unbeeindruckend, doch der Tiefgang der Geschichte hat mich überrascht. Die Briefe und e-Mails wirken recht authentisch - vor allem was die zunehmende Lebenserfahrung der Protagonistinnen betrifft, schließlich schreibt ein Teenager nicht wie ein Erwachsener. Auch das Verhältnis der beiden Mädchen zueinander kann ich gut nachfühlen: Valeries ringen um Anerkennung, sie die vernünftige, ängstliche, diplomatische, während Lilly ausgeht, sich mit Jungs trifft und immer weniger Zeit für Valerie zu haben scheint. Ich denke, solche ungleichen "Freundschaften" gibt es gar nicht so selten.

Nicht nachvollziehen hingegen kann ich den Titel "Johannisbeersommer". Sicher, das Cover ist wunderschön, die Johannisbeeren sehen wirklich appetitlich aus, aber sie haben leider absolut nichts mit der Handlung zu tun. Gestört hat mich auch der plötzliche Wechsel zur Erzählerperspektive am Schluss. Das wirkt für mich fehl am Platze, bringt den Lesefluss durcheinander und hätte meiner Ansicht nach nicht sein müssen. Zu guter letzt stehe ich auch den eingestreuten Rezepten skeptisch gegenüber. Ich persönlich habe sie komplett überblättert ohne auch nur einen Blick hineinzuwerfen, weil ich lieber wissen wollte, wie es in der Handlung weitergeht. Ein Roman voller Rezepte - nette Idee oder der Versuch, ein dickeres Buch herauszubringen? - Man kann es so oder so sehen.

Trotzdem im Großen und Ganzen ein lesenswertes Buch - angenehme Lektüre, nicht nur für den Sommer.