Tiefgründiger Roman

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MEINE MEINUNG
„Juli, August, September" von der deutschen Schriftstellerin Olga Grjasnowa ist ein eindrucksvoller und tiefgründiger Roman. Aus aus unterschiedlichen Blickwinkeln erforscht sie komplexe Themen wie die Suche nach der eigenen Identität, den Einfluss der Familiengeschichte sowie die Bedeutung des kulturellen Erbes, Glaubens und der jüdischen Wurzeln.
Der Roman bietet zudem scharfsinnige und humorvolle Einblicke in die drängenden, aktuellen Probleme unserer modernen, multikulturellen Gesellschaft, die sich mit Fragen der Sinnsuche, Zugehörigkeit und dem Stellenwert der Familie auseinander setzt. Der Autorin ist eine ausgewogene Mischung aus tiefgründigen Themen und unterhaltsamen Episoden gelungen. Die eher melancholische, bedrückende Grundstimmung wird gekonnt aufgelockert mit der richtigen Portion Ironie, Zynismus und Leichtigkeit. Zudem hat sie geschickt sehr lehrreiche Hintergrundinformationen zur jüdischen Kultur und Geschichte und interessante aktuelle weltpolitische Bezüge in die Handlung eingeflochten.
Die Geschichte dreht sich um Lou und Sergej, einem erfolgreichen Paar mit jüdischen Wurzeln, das mit ihrer kleinen Tochter Rosa in Berlin lebt. Trotz ihres beruflichen Erfolgs empfinden sie eine innere Zerrissenheit und Leere, die durch ihre schwache religiöse Bindung und komplizierten Familiengeschichten, die von der traumatischen Vergangenheit und dem Holocaust geprägt sind, verstärkt werden. Der Roman ist in drei Teile gegliedert, die jeweils einen Monat - Juli, August und September - umfassen und an unterschiedlichen Schauplätzen wie Berlin, Gran Canaria und Tel Aviv spielen. Die sich über drei Monate erstreckende Geschichte bietet aufschlussreiche Einblicke in die verschiedenen Phasen von Lous herausfordernder Suche nach ihrer eigenen Identität, der intensiven Auseinandersetzung mit ihrem Glauben, ihrer Zugehörigkeit und ihrer Familiengeschichte.
Mit der Protagonistin Lou hat die Autorin eine vielschichtige Figur geschaffen, die mit innerer Zerrissenheit, Entwurzelung und Zweifeln an ihrer kriselnden Ehe mit Sergej zu kämpfen hat. Die Leere in ihrem Leben versucht sie durch Alkohol zu betäuben, bis sie beginnt ihre eigene Rolle zu ergründen. Obwohl die Protagonistin anfangs sehr kühl, distanziert und wenig sympathisch wirkt, konnte ich mich im Laufe der Geschichte immer besser in sie hineinversetzen. Hartnäckig beginnt sie die überlieferten Familiengeschichten in unterschiedlichen, wenig stimmigen Versionen zu hinterfragen, die im Laufe der Jahre ihre ganz eigene Wahrheit und labile Dynamik gewonnen haben und sich auf ihr aller Leben auswirkten, um schließlich wichtige Antworten zur Vergangenheit ihrer russischstämmigen Vorfahren zu erhalten und verborgene Wahrheiten ans Licht zu bringen. Faszinierend ist ihre Suche nach ihren eigenen Wurzeln, ihrer Identität und Zugehörigkeit, die Lou nicht nur in die Vergangenheit führt, sondern ihr schließlich auch neue persönliche Perspektiven für ihre Zukunft aufzeigt.
Detailliert und nuancenreich wird die komplexe Beziehung zu ihrem jüdischen Familienclan aus Israel eingefangen, der trotz all der subtilen Spannungen, wechselseitigen Animositäten und ungelösten Konflikte untrennbar miteinander verbunden ist. Die Vielzahl der unterschiedlichen Charaktere ist sehr plastisch und mit ihren Eigenheiten glaubhaft ausgearbeitet.

Besonders beeindruckend ist, wie Lou am Ende die vielen Puzzlestückchen, die ihre Persönlichkeit ausmachen, zusammensetzt, mit sich ins Reine kommt und sich neu definiert. Der offene, aber höchst stimmige Ausklang passt zu dieser faszinierenden, vielschichtigen Geschichte, die zum Nachdenken anregt und viel Raum für eigene Deutungen lässt.