Märchen für Erwachsene über eine Zeit voller Mythen und Gewalt

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sleepwalker1303 Avatar

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„Junge mit schwarzem Hahn“ von Stefanie vor Schulte ist ein Buch, das sich für mich sehr schwer einordnen lässt. Das Genre ist schwer zu definieren und ich kann auch nicht sagen, ob das Buch mir gefallen hat, oder nicht. Ist es nun ein Märchen für Erwachsene, eine Fabel, eine gesellschaftskritische Parabel oder eine Allegorie? Vermutlich liegt die Wahrheit dazwischen und es ist eine Mischung aus allem. Schwieriger ist jedoch die Antwort auf die Frage, ob mir das Buch gefallen hat.
Aber von vorn.
Der elfjährige Waisenjunge Martin musste als Kleinkind miterleben, wie der Vater seine Mutter und seine Geschwister erschlagen hat. Zusammen mit ihm überlebt ein schwarzer Hahn, der ihn fortan durch sein schwieriges Leben begleitet: als Freund, Vertrauter und eine Art Bodyguard, denn er verjagt Menschen durch sein Gekreische und mit seinem scharfen Schnabel. Viele meinen, Martin und der Hahn seien mit dem Teufel im Bunde („Dieses Mistvieh von einem Hahn. Der Teufel persönlich.“). Martin ist ein sensibler, intelligenter Junge und er hat sich selbst eine Mission ausgesucht: er möchte die von „schwarzen Reitern“ entführten Kinder suchen, finden und retten. Ein Maler, der in der Dorfkirche das Altarbild malen soll, nimmt sich seiner an und sie reisen gemeinsam weiter. Er ist der erste, der vor Martins Intelligenz keine Angst hat und ihn nicht, wie alle anderen, ständig schlägt.
So weit, so spannend, mystisch und märchenhaft. Könnte es zumindest sein. Und es könnte auch wirklich ans Herz gehen. Der schlaue, empfindsame kleine Junge mitten in einer kalten, rauen Welt voller Aberglauben, Tyrannei und Gewalt. Aber obwohl ich mich dem Protagonisten Martin sehr nahe fühlte, konnte das Buch mich nicht wirklich erreichen. Stefanie vor Schultes Sprache ist bildhaft und schlicht, teilweise fast fragmentiert. Auch kam sie mir bei der Lektüre fast monochrom vor und so rau wie die damaligen Zeiten (die Geschichte ist weder zeitlich noch örtlich bestimmt – sie könnte allerdings irgendwo in Europa im 30jährigen Krieg spielen, denn neben Krieg und Hunger werden auch Pest und Hexenverbrennung erwähnt). Monochrom sind auch die Charaktere – alles ist schwarz oder weiß, gut oder böse. Es gibt praktisch nichts dazwischen. Bunt sind mehr oder weniger nur die Bilder, die der Maler malt, wozu dann auch der Titel des Buchs gut passt, denn „Junge mit schwarzem Hahn“ klingt wie der Titel eines Kunstwerks.
Ist das Buch denn ein Kunstwerk? Für mich war es auf jeden Fall eine Herausforderung, denn so wirklich wurde ich mit der Geschichte nicht warm. Vor allem die erste Hälfte war mir zu verworren, zu konstruiert und zu kryptisch und verlange mehr Konzentration von mir, als ich aufzubringen im Stande war. Insgesamt erinnerte mich das Buch an die Märchen von Hans Christian Andersen, die ich sehr liebe. Das Düstere und die Moral am Ende fand ich daher sehr ansprechend. Aber manchmal fand ich die Geschichte einfach zu gezwungen. Sowohl die gezwungen alte Sprache als auch die gezwungene wirklich strikte Unterscheidung in Gut und Böse machten mir das Buch nicht zum Freund. Martin ist mir zu sehr Lichtgestalt und zu durch und durch gut in einer Welt voller Schlechtigkeit.
Durch die Parallelen zur heutigen Zeit, in der auch jeder sich selbst der Nächste ist, kann ich mir das Buch hervorragend als Schullektüre vorstellen, denn es bietet praktisch unendlich viel Stoff für Interpretationen. Manche der Ideen werden von der Autorin meiner Meinung nach auch nicht hundertprozentig zu Ende gedacht, da hätten dem Buch ein paar mehr Seiten gutgetan, um alle losen Enden befriedigend zu verknüpfen. Es ist alles in allem sicher kein schlechtes Buch und ich kann mir gut vorstellen, dass man von der Autorin künftig noch Großes erwarten kann. Aber das Buch und ich passten einfach nicht zusammen. Daher gebe ich drei Sterne, denn es gibt sicher Menschen, denen das Buch besser liegt als mir.