Schöne Idee mit Schwächen

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fraedherike Avatar

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„Während Martin noch lange in die Nacht starrt, erkennt er nun, dass erst Liebe zu jemandem den Weg zu Schmerz und Angst ermöglicht.“ (S. 88)

Lieblos, vernachlässigt und von den unkenden Bauern, den hurenden Gesellen verachtet wächst der elfjährige Martin am Rande des Dorfes auf, mit nichts als einem Leibchen am Körper und einem schwarzen Hahn an seiner Seite. Er ist ungewöhnlich klug und von reinem Herzen, sein Schicksal sagenumwoben, weswegen niemand etwas mit ihm zu tun haben möchte. Als eines Tages ein Maler das Dorf betritt, um der Kirche ein neues Heiligenbild zu schenken, ergreift Martin seine Chance, und verlässt gemeinsam mit ihm das Dorf. Kurz vor seiner Abreise wurde er Zeuge der Raubentführung eines kleinen Mädchens durch einen schwarzen Reiter, der, so sagt es die Legende, jedes Jahr Kinder entführe. Für Martin steht fest, dass er diesem Spuk ein Ende setzen muss.

In ihrem Debütroman „Junge mit schwarzem Hahn“ entspinnt Stefanie vor Schulte eine intelligente, humorvolle, zugleich aber auch düstere Fabel, die das Gute im Menschen ebenso ans Licht bringt wie das Schlechte. In mittelalterlichem Setting, den Zeiten von Pest und Hunger, begibt sich ihr Protagonist, der gleich auf zweierlei Mission unterwegs ist, auf eine gefährliche Reise, begegnet Missgunst und Hinterlist und schafft es, mit Intelligenz und Witz die Menschen von sich zu überzeugen, dass er nur Gutes im Sinn hat. Zeitweilig übermannt seine kindliche Naivität die Klarheit seiner Gedanken und nimmt etwas seiner teilweise durchscheinenden Überheblichkeit:

"‘Aber dann würdest du mehr Geld verdienen.‘ -
‚Und was mache ich dann damit? Ich habe doch genug zu essen, zu saufen und zu huren. Was mache ich mit mehr Geld?‘“ (S. 69)

Die Geschichte ist Schauplatz zahlreicher komischer, hinterlistiger, überzeichneter Charaktere, ein Karneval der Hofnarren und Hexen, zerbrechlichen Jungfrauen und gefallenen Ritter, die allesamt die Marionetten der Herrscherin zu sein scheinen, die einen gewaltigen Plan lebt. Ein Märchen für Erwachsene, wie es scheint, das, auf den moralischen Kern bezogen, zeitlos ist, auf jede Zeit anwendbar und dessen Gesellschaftskritik immer wieder durchscheint. Doch so sprachlich elegant, poetisch reduziert, rhythmisch und ausdrucksstark, so prägnant und humorvoll die Handlung auch ist, konnte ich keine Verbindung zu den Protagonisten, kein Feeling für die Geschichte aufbauen, und so blieb „Junge mit schwarzem Hahn“ für mich leider nur eine kurzweilig nette Lektüre, wenn auch mit großer Anerkennung ob der Idee, der Intention und der Tatsache, dass dies ein Debüt ist. Die Neugier auf alles Folgende ist jedenfalls geweckt!