Prosit!

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
martinabade Avatar

Von

Mit „Kaiserstuhl“ legt Brigitte Glaser nach „Bühlerhöhe“ 2017 und „Rheinblick“ 2019 einen dritten Band vor, in dem es um die Nachkriegszeit im Westen des Westens geht.

„Kaiserstuhl“ spielt in den frühen 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts an der deutsch-französischen Grenze. Wieder ist eine starke Frau die Protagonistin des Romans. Henriette, Henny Köpfer betreibt in Freiburg im Breisgau recht erfolgreich eine Weinhandlung. Sie hat schwere Zeiten hinter sich. Im November 1944 flog die Royal Air Force unter dem Codenamen „Operation Tigerfish“ den mit Abstand schwersten Luftangriff auf die Stadt. 2800 Menschen starben, die Stadt wurde fast flächendeckend zerstört. In diesem Angriff verliert Henny nicht nur ihren Vater und die Weinhandlung, sie findet einem brennenden Baum einen dreijährigen Jungen und geht davon aus, dass seine Eltern umgekommen sind. Sie flieht vor dem Bombardement aus der Stadt zu ihrer Schwiegermutter aufs Land und nimmt den Kleinen mit.

Glaser arbeitet mit zwei Zeitschienen – das Ende des Zweiten Weltkriegs, auf dem Land bei der Bäuerin Kätter, die Hennys Schwiegermutter aus einer kurzen Ehe ist. Kätters Sohn Heiner ist im Krieg geblieben und hat Henny den Witwenstand beschert. Den nutzt Henny durch die Jahre wie ein Schutzschild gegen aufdringliche Herren, denen es nicht in den Kopf will, dass eine alleinstehende Frau erfolgreich ein Geschäft führt, in einem Jazz Club singt und sich in zwielichtigen Kneipen herumtreibt. Und doch drängelt sich die Liebe immer wieder in ihr Leben.

Die Autorin verknüpft nicht nur Zeitebenen sondern auch Themenfelder. Die Art und Weise, wie sie durch die Handlung den Suspense bis zum Höhepunkt schürt, verrät, dass sie auch als Krimischreiberin unterwegs ist.

Hennys ehemaliger Geliebter, Paul Duringer, ist im Auftrag des französischen Geheimdienstes auf der Suche nach einer Flasche Champagner des Jahrgangs 1937. Im Zivilleben arbeitet er gerade für das Institut Français und zeigt die Filme der Novelle Vague, der „Neuen Welle“ in der südwestdeutschen Provinz. Es entspinnt sich eine Actiongeschichte, in der die Flasche auftaucht und verschwindet, gestohlen und vertauscht wird. Ein munteres Spielchen sozusagen. Wäre diese Flasche (die übrigens während der ganzen Zeit unversehrt bleibt, das darf nur Literatur!) nicht Symbol der unglaublichen Entwicklung, die sich im Westdeutschland der zwei Jahrzehnte zwischen Kriegsende und 1960er abgespielt hat. Während auf der einen Seite noch dunkle Nazi-Seilschaften ihr Spiel treiben und klar wird, wie mörderisch deutsche Armee und GESTAPO ihre Spiele im Elsass gewütet haben, scheint am anderen Ende des Tunnels Licht. Präsident de Gaulle spricht in Ludwigsburg zur deutschen Jugend – und auch die Champagnerflasche hört zu?!? Aus ehemaligen Feinden sollen Freunde werden, keine Selbstverständlichkeit nur 18 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Im Hintergrund geht es um den Abschluss des „Vertrag über die deutsch-französische Zusammenarbeit“ – kurz Élysée-Vertrag, der dann 1963 abgeschlossen wurde.

Wie in den beiden Bänden zuvor entwickelt die Handlung einen unglaublichen Sog. Es ist mir schwer gefallen, das Buch nach den ersten 50 Seiten aus der Hand zu legen. Die Sprache ist pragmatisch und unverschnörkelt. Mit vielen Dialekten, die abgebildet werden, zeigen sich die vielen kulturellen Ausprägungen auf so kleiner Fläche. Und zum guten Schluss: Das Buch ist einfach spannend, und allen Anfangszweifeln zum Trotz, hält die Champagnerflasche als dramaturgische Klammer bis zum Schluss durch.