Eine wirklich gute Geschichte

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wortwandeln Avatar

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Arielle Freytag hat es schon deshalb geschafft, weil sie aus Katernberg raus ist. Den prekär geprägten Essener Stadtteil hat sie gegen ein Leben in der Landeshauptstadt eingetauscht, fernab von Fastfood, Plüsch und Pink. Aus ihr ist ein "beigefarbenes" Mädchen geworden, dass den Chic gepflegten Understatements beherrscht und als Social Media Managerin in Düsseldorf unanständig viel Geld verdient.

Als der Notruf einer Sozialarbeiterin aus Katernberg eingeht, erholt sich Arielle gerade von einem Burnout samt Klinikaufenthalt. Ihrer Großmutter gehe es schlecht, drängt die Sozialarbeiterin, ob sie kommen könne. Widerwillig macht sich Arielle auf den Weg. Als dann auch noch zwei Mädchen verschwinden, kommt das Schicksal der lange verschollenen Mutter, das lieblose Aufwachsen bei der exzentrischen Großmutter wieder hoch, Wunden aus der Kindheit brechen auf.

Kaum zurück im Milieu, fällt Arielle in alte Verhaltensmuster zurück. Stopft Fastfood in sich hinein, macht den erstbesten Typen an der heruntergekommenen Tischtennisplatte klar, buhlt um Anerkennung und Akzeptanz derer, denen sie einst voller Verachtung entkam. Und sie weiß das.
Unerbittlich, scharfzüngig, entlarvend analysiert sie alles und jeden in ihrer neuen alten Umgebung, inklusive sich selbst. Das liest sich bitter und sehr witzig zugleich.
Erfrischend tabufrei nimmt die Autorin mittels Arielles sezierendem Blick die real existierende Klassengesellschaft nach Strich und Faden auseinander.
Geschickt verknüpft sie dabei Milieuschilderung und Krimihandlung, ihr Schreibstil ist federnd leicht und dennoch tiefgründig, die Dialoge sind pointiert und erzeugen bei aller thematischen Tragik auch jede Menge Situationskomik.
Vor allem jedoch steckt diese Geschichte voller Wärme. Die Figuren schließt man schnell ins Herz, vielleicht gerade wegen all der Ecken und Kanten, die ihre Charaktere ausmachen.

Am Ende werden Geheimnisse gelüftet, Bündnisse geschlossen. Verlassenheit findet ein Zuhause, niemand ist mehr wie vorher und dennoch näher bei sich selbst.
Große Leseempfehlung!