Ausflug in die Frühzeit der Kinderheilkunde

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Inhalt
Die Waisenschwestern Marlene und Emma Lindow beginnen im Sommer 1911 eine einjährige Ausbildung zur Kinderkrankenschwester an der gerade erst eröffneten Kinderklinik Weißensee. In dieser Klinik soll die Anfang des 20. Jahrhunderts extrem hohe Säuglings- und Kleinkindersterblichkeit bekämpft werden. Der Klinik ist ein eigener Milchbetrieb (Milchkuranstalt) angeschlossen, in dem aus der Milch hauseigener Kühe unter Einhaltung moderner hygienischer Standards Säuglingsmilch hergestellt wird. Gleichzeitig setzen sich die Ärzte der Klinik jedoch dafür ein, das Stillen als beste Art der Säuglingsernährung zu fördern. Diesbezüglich werden Vortragsreihen und Kongresse organisiert.
Die beiden Schwestern widmen sich mit vollem Einsatz ihrer Ausbildung, auch wenn ihr Leben nicht ungetrübt verläuft, da die anderen Lernschwestern, größtenteils aus „guten Häusern“ stammend, auf die Waisen herabsehen. Außerdem kommt es auch zwischen Emma und Marlene zu einer Entfremdung, als Emma sich in einen Melker verliebt, der es Marlenes Meinung nach nicht ernst mit ihr meint. Als ältere Schwester fühlt sich Marlene für Emma verantwortlich und mischt sich zu sehr in deren Leben ein. Marlene träumt davon, im Anschluss an ihre Ausbildung Medizin zu studieren und sie verliebt sich in einen jungen Arzt, der ihre Ambitionen unterstützt. Dessen Eltern, Graf und Gräfin von Weilert, halten jedoch nichts von einer zukünftigen Schwiegertochter aus einfachen Verhältnissen und möchten die Frau für ihren Sohn selbst aussuchen.

Beurteilung
Der erste Teil der Dilogie beschäftigt sich mit einer neuen Entwicklung der Medizin kurz vor dem Ersten Weltkrieg, als sich die Pädiatrie als eigene medizinische Fachrichtung entwickelt. Wurden Kinder zuvor als kleine Erwachsene gesehen, so erkennt man jetzt, dass es in der Versorgung von Kindern spezielle Fragestellungen gibt, angefangen bei der optimalen Säuglingsnahrung bis zu Betrachtungen, inwieweit Ärzte bei längerem Krankenhausaufenthalt der Kinder auch als deren Erzieher wirken. Die im Roman agierenden Ärzte und die Rotkreuzoberin, Vorgesetzte der Lernschwestern, sind historische Persönlichkeiten.
In sehr lebendigem, anschaulichen Sprachstil werden die pflegerischen Maßnahmen der damaligen Zeit sowie neue diagnostische und therapeutische Ansätze (Lokalanästhesie, Röntgen, Magenspiegelung) geschildert. Auch psychologische Ansätze der Therapie von Kindern werden angesprochen, hier erweist sich Emma als besonders einfühlsame Kinderschwester, die es versteht, durch Singen und Geschichtenerzählen den oft verstörten Kindern die Angst zu nehmen.
All diese Entwicklungen werden vor dem Hintergrund der ausgehenden Kaiserzeit dargestellt, wobei auch gesellschaftliche Verhältnisse thematisiert werden, sei es der problematische „Standesunterschied“ bei Liebesbeziehungen, bzw. Ehen, sei es die Tatsache, dass nur der Vater eines Kindes und nicht die Mutter die Zustimmung zur Operation eines Kindes erteilen konnte.
Eine bedeutende Rolle spielen die Liebesbeziehungen der beiden Schwestern, in diesem Handlungsstrang wirkt die Darstellung der Romanfiguren gelegentlich etwas überzeichnet; Marlene und Emma werden sehr positiv dargestellt, eine ihrer Mitschwestern dagegen extrem negativ als hasserfüllte und versnobte Intrigantin.
Ein interessantes Autorennachwort und ein Literaturverzeichnis runden diesen lesenswerten Roman ab.

Fazit
Ein fesselnder Roman aus der Frühzeit der Kinderheilkunde, sehr lesenswert!