Erziehung bei den Maya, Inuit & Hadza: Wertvolle Impulse für eigene Eltern-Kind-Beziehung!

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lia48 Avatar

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„Vielleicht hatte ich nicht deshalb so viele Schwierigkeiten mit Rosy, weil ich eine schlechte Mutter war, sondern weil ich einfach nur niemanden gehabt hatte, der mir beigebracht hätte, wie man eine gute Mutter ist? Hat meine Kultur schlicht vergessen, wie man Kinder am besten erzieht?“

Wie bringt man Kinder dazu, Aufgaben zu erledigen, ohne, dass man sie darum bitten muss? Wie bringt man Geschwister zur Kooperation, statt dass diese streiten? Wie diszipliniert man, ohne zu schreien, zu schimpfen oder zu bestrafen? Wie stärkt man Resilienz, Geduld und Impulskontrolle?

Autorin Dr. Michaeleen Doucleff, welche Chemie studierte und als Bloggerin für ihre Artikel mit gesundheitlichen und pädagogischen Themen bekannt ist, spricht in diesem Buch in erster Linie als Mutter zu den Leser*innen, welche mit den Wutanfällen ihrer kleinen Tochter Rosy häufig an ihre Grenzen stößt. Sie fragt sich, was sie tun kann, um die Mauer zwischen ihnen nicht noch höher wachsen zu lassen. Denn sie zweifelt an sich selbst und bekommt beinahe Angst vor der nächsten Begegnung mit ihrem Kind.

Als sie feststellt, dass sie hauptsächlich so reagiert, wie ihre Eltern sie behandelt haben (mit Wut, Zorn, Strenge und lauten Worten), reist sie gemeinsam mit Rosy um die Welt, um anderen Eltern bei der Erziehung über die Schulter zu schauen. Von ihnen lernt sie, wie sie mit Wutanfällen von Rosy umgehen kann, wie sie mit ihrer Tochter sprechen kann, ohne zu schreien oder zu bestrafen. Sie erkennt, wie sie mit Rosy konfliktfrei kommunizieren und wie sie ihr Werte und Normen vermitteln kann.

Die Autorin stützt sich dabei vor allem auf eigene Erfahrungen und Beobachtungen, denn die Anzahl der Studien zur Erziehung von Kindern in indigenen Kulturen sind Mangelware. Das sollte man wissen, wenn man sich für das Buch interessiert.
Doch als gelernte Erzieherin weiß ich, wie wertvoll es sein kann, Vorbilder (wie meine ehemaligen Kolleginnen) zu erleben, durch die man neue Blickwinkel kennenlernen und dadurch seinen eigenen Umgang finden und ein Bauchgefühl entwickeln kann. Daher können auch Erfahrungsberichte nicht schaden. Als solche sollte man das Buch wohl sehen (auch wenn die Autorin einzelne Studien und Berichte von Psychologen, Anthropologen, Neurowissenschaftler und Evolutionsbiologen, usw. mit eingearbeitet hat). Dann kann man durchaus zahlreiche Impulse für das eigene Handeln mitnehmen.

Die Autorin geht davon aus, dass durch unsere eingeschränkte Sichtweise auf Erziehung (europäisch- amerikanisch), nützliche „Werkzeuge“ ausgeblendet werden, wir isolierter leben und es deshalb heute so anstrengend für uns ist, Kinder großzuziehen, und dass bei uns daher so viele Kinder und Jugendliche einsamer, ängstlicher und depressiver geworden sind. Auch sind die Eltern heute mehr auf sich allein gestellt, während Erziehung in anderen Kulturen und auch bei uns früher, eine Mehrgenerationenaufgabe war.
Andere haben etwas, das unserer westlichen Kultur fehlt: tief verwurzelte Erziehungstraditionen und einen Wissensschatz, der von Generation zu Generation weitergegeben wird.

Dr. Michaeleen Doucleff bereist Familien und Menschen drei indigener Kulturen und stellt deren positive Merkmale in den Vordergrund:
So gewinnt sie den Eindruck, dass die Kinder der Maya besonders hilfsbereit und kooperativ sind, gemeinschaftlich und eine gute Konzentrationsfähigkeit besitzen.
Bei den Inuit bewundert sie die emotionale Intelligenz und die Wutkontrolle. Schreien z. B. gilt hier auch bei den Erwachsenen als unreifes Verhalten. Scheinbar gebären manche Mütter ihre Babys komplett lautlos – diese Schilderungen haben mich besonders beeindruckt!
Die Kinder der Hadza erlebt sie dagegen als sehr selbstbewusst, selbstbestimmt und es soll dort keine kindlichen Angststörungen oder Depressionen geben.

Jede der Kulturen hat einen Hauptteil im Buch, es werden verschiedene Familien besucht und man bekommt Einblicke in den Tagesablauf und in die Erziehungsformen der Leute.
Außerdem gibt es viele Tipps, praktische Anleitungen zum Ausprobieren im eigenen Alltag (z. B. wörtliche Formulierungen, Aufgaben…), die sich gut umsetzen lassen, manchmal aber auch eine Herausforderung darstellen können, sowie anschauliche Zusammenfassungen am Ende der Kapitel.
Die Autorin nennt ihre Methode die „TEAM-Erziehung“ - das Fundament der Eltern-Kind-Beziehung - welches aus vier Kernelementen bestehen soll: Teamwork, Ermutigung, Autonomie und minimales Eingreifen.

Die Haltung, die im Buch vermittelt wird, diesen respektvollen, liebevollen, wertschätzenden, zwanglosen und kooperativen Umgang mit dem Kind und weg von einer Bespaßung und Ablenkung nach der nächsten (was Kinder und Eltern schnell ermüden kann), mochte ich sehr. Auch deshalb, weil man in der Montessori-Pädagogik (mit der ich gearbeitet habe und die ich sehr schätze) so vieles davon wiederfindet.
Obwohl ich vieles, was im Buch steht, bereits wusste, konnte ich einiges mitnehmen. Vor allem die kulturellen Unterschiede fand ich interessant und haben mir zu denken gegeben. Zahlreiche wörtliche Formulierungen, weise Sätze und Ratschläge der indigenen Bevölkerung, habe ich mir ebenfalls herausgeschrieben.

Ein Kritikpunkt wäre, dass das Buch fast nur Mütter anspricht und wenig auf die Väter/ andere Familienformen eingeht. Aber auch, dass die Autorin innerhalb der Kulturen ziemlich verallgemeinert (wie sehr, kann ich schlecht einschätzen), auch deshalb, da es nur wenige Studien gibt. Daher mein Tipp: Das Buch mehr als Erfahrungsbericht lesen und wertvolle Impulse für sich herausziehen! Denn als solches betrachtet, kann es sicherlich einiges für einen bereithalten! 4,5/5 Sterne!