Mal eine ganz andere Sichtweise auf das Thema Erziehung

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
marialein Avatar

Von

Erziehung ist schwierig, man muss seine Kinder permanent loben, bespaßen und geistig fordern, in genau dem richtigen Maße kontrollieren, mit Wutanfällen und aggressivem Verhalten umgehen können… Halt, muss man das wirklich?? Michaeleen Doucleff hat genau diese Erfahrungen mit ihrer Tochter Rosie gemacht und sich gefragt, ob das, was aus unserer westlichen Sicht zur Erziehung dazugehört, wirklich förderlich ist. Dazu hat sie sich angeschaut, wie andere Kulturen ihre Kinder erziehen und ist zu erstaunlichen Erkenntnissen gelangt.

Dazu hat sie nicht nur umfassend in anthropologischer Literatur recherchiert, sondern ist auch, gemeinsam mit ihrer Tochter, in die verschiedensten Gegenden der Welt gereist, um die Kindererziehung dort hautnah mitzuerleben und Interviews mit Eltern zu führen. Ihre Ergebnisse fasst sie als eine Art universelle Erziehung zusammen, die überall auf der Welt seit Tausenden von Jahren praktiziert und optimiert wird. Besonders ausführlich schildert sie ihre Erfahrungen bei den Maya, den Inuit und den Hadza, wobei sie jeweils einen wichtigen Punkt schildert: Hilfsbereitschaft, Wutkontrolle und Autonomie.

Zugegeben, streng genommen ist ihre Arbeit nicht wissenschaftlich astrein, denn die Erkenntnisse, die sie bei den Menschen in ihrer Kultur erlangt, versucht sie weitgehend auf ihr Leben und ihre Kultur zu übertragen, wobei sie logischerweise nur ein „Studienobjekt“ zur Verfügung hat: ihre Tochter Rosie. Wenn man sich aber anschaut, auf was für pseudowissenschaftlichen Daten unsere heutige Erziehung beruht, ist Doucleffs Ansatz eigentlich mindestens genauso wertvoll.

Das war einer der Punkte, die mich gleich am Anfang des Buches sehr erstaunt haben. Wie stark Erziehung im Besonderen und Wissenschaft im Allgemeinen auf die westliche Welt fokussiert ist, obwohl diese nur einen Bruchteil der Weltbevölkerung ausmacht. „Wir tun vierzig bis fünfzig Dinge, die in anderen Kulturen nicht getan werden.“ So zitiert Doucleff den Anthropologen David Lancy in einem der Sätze in diesem Buch, die mich wirklich verblüfft haben. Auch Empfehlungen zu Schlaf, Mahlzeiten usw. beruhen anders als allgemein angenommen mitnichten auf wissenschaftlicher Forschung!

Zu der Erziehungsmethode an sich, die hier vorgestellt wird, kann man zusammenfassend sagen, dass viele der Probleme, die wir heutzutage mit unseren Kindern haben, eigentlich genau daher rühren, dass wir sie ebenso erziehen, wie das aus unserer Sicht gute Eltern nun mal machen. Dieser „neue“ Blick – wobei neu natürlich eigentlich der gänzlich falsche Begriff ist – hat mir die Augen geöffnet für vieles, was in unseren heutigen Erziehungsansätzen falsch läuft. Ganz konkret gibt die Autorin aber auch besonders im Kapitel über die Inuit den Eltern Werkzeuge in die Hand, die bei all ihrer Schlichtheit wahre Wunder wirken können.

„Kindern mehr zutrauen“ ist ein wunderbares Buch, das allen Menschen mit Kindern, besonders kleineren, eine große Hilfe sein wird. Der Einführungsteil ist allerdings so interessant, dass er auch völlig losgelöst von Erziehungsfragen einen echten Mehrwert bietet. Fazit: unbedingt lesen!