Was man im Rückspiegel nicht sehen möchte

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wolfgangb Avatar

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Beinahe zeitgleich zur Verfilmung von Don Winslows erfolgreichem Roman "Savages" ("Tage des Zorns" in der deutschen Übersetzung) erschien jenes Werk, das als Vorgeschichte der Ereignisse um Ben, Chon, Ophelia und ihre mexikanischen Widersacher verstanden werden will. In "Kings of Cool" verknüpft der Autor die familiäre Vergangenheit der drei Protagonisten mit ihrer Gegenwart und gibt vor, eine Interpretationsanleitung zum Kinofilm zu liefern, die ihren Ursprung im Kalifornien der 1960er Jahre nimmt.

Tatsächlich sind die beiden Romane durch überschneidende Figurenkonstellationen nur lose aneinander gekoppelt. Das Verständnis funktioniert unabhängig voneinander, sodaß sich der Eindruck aufdrängt, Winslow, selbst der Surfkultur verpflichtet, habe eine günstige Welle ausgenutzt. Die Handlung selbst ist vernachlässigbar: In zwei parallel verlaufenden Strängen werden die Erfolge und Widrigkeiten im Drogenhandel sowohl von Chon, Ben und O als auch ihrer Elterngeneration geschildert. Die obligate Zusammenführung gestaltet sich mehr als Pflichtübung, denn als überraschende Auflösung. Aber kunstvoll elaborierte Erzählstränge und atemberaubende Wendungen liegen ohnehin nicht in der Absicht des Autors, die Handlung bleibt eine narrative Notwendigkeit. Vielmehr geht es Winslow darum, vergleichbar mit Bret Easton Ellis' Kurzgeschichtensammlung "Die Informanten" ein Stimmungsbild des Pazifikstrandes zu zeichnen, wo das Spannungsfeld zwischen Müßiggang und aufwendigem Lebensstil durch Drogenkriminalität aufgelöst wird. Es ist ein Mosaik aus kalifornischer Coolneß, das er langsam aufbaut und mit diebischem Vergnügen als obeflächliche Dekadenz entlarvt. Suzkessive wird dabei der anfangs sarkastische Humor durch brutalen Ernst ersetzt, der in verzweifelt geschlossene Deals und schließlich zerstörerische Gewalt mündet.

Und das Versprechen des Titels einlösend, spielt der genannte Aspekt auch eine zentrale Rolle: Winslow gibt sich cool im Inhalt, indem er gegen den Imperativ der politischen Korrektheit verstößt. Er gibt sich cool in der Form, indem er immer wieder einzelne Kapitel als Drehbuchpassagen gestaltet, in denen die Figuren in tarantioesquen Dialogen interagieren. Das Leben im kalifornischen Drogenmilieu wird als HD-Actionfilm mit scheinbar unbesiegbaren Helden inszeniert. Cool ist aber auch der Erzähler, der exakt die Sprache seiner Figuren spricht. So erteilt er etwa allgemeine Ratschläge, die beginnen mit "Wenn du schon unbedingt ein Arschloch sein mußt ..." oder "An alle Kiffer da draußen ..." und erklärt akribisch die notwendigen Bedingungen zur Aufzucht von Marihuana-Pflanzen, wie man es bisher in dieser Weise nur von TC Boyles "Grün ist die Hoffnung" kennt.

Die kurzen Kapitel reichen über mehrere Seiten bis hin zu minimalistischen Zwei-Wort-Sätzen. Wenn beispielsweise Kapitel 8 mit dem Satz "Denn Ben glaubt nicht an Gewalt." endet und Kapitel 9 allein aus "Chon schon." besteht, so werden damit zwei Funktionen erfüllt: Einerseits wird der betreffenden Aussage besonderes Gewicht verliehen, andererseits im Bewußtsein des Lesers ein Leerraum geschaffen, den dieser selbst aufzufüllen hat. Die Betonung liegt nicht auf dem was gesagt, sondern darauf, was nicht gesagt wird.

Don Winslow scheint mehr mitteilen zu wollen, als ihm die Gattung des Romans erlaubt. Mit Händen und Füßen stemmt er sich gegen die Einschränkungen der prosaischen Form, bricht immer wieder den Text durch einen unkonventionellen Zeilensatz auf, indem er etwa das Exponieren von Schlagwörtern innerhalb einer Zeile als Mittel zur Charakterisierung von Figuren nutzt oder den gewählten schwarzen Humor durch taxative Aufzählungen unterstreicht. Zuweilen flüchtet er sogar in die Lyrik, um etwa das unaussprechliche moralische Versagen eines Drogenfahnders beim Anblick einer großen Menge Bargeldes zu verdeutlichen. In Anlehnung an die von Hugo von Hofmannsthal thematisierte Sprachkrise geht Don Winslow sogar so weit, die Funktion der verbalen Kommunikation an sich in Frage zu stellen. Pointiert und in gewohlt kalifornischer Coolneß.

Kurzum, bei "Kings of Cool" handelt es sich um einen sprachlichen Experimentierkasten. verpackt als spannender Drogenthriller.