60er Jahre reloaded

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Die Leseprobe war für mich wie eine Zeitreise in die Jugendzeit meiner Eltern bzw. in die Jahre vor meiner Geburt - eben in die 60er Jahre. Quasi von der aktuellen Wirtschaftskrise zurück in die Zeit des Wirtschaftswachstums.

Durch einen Sturm kommt es zu einem Schaden am Dach des Hauses und es müssen die alten Sachen ("das Gerümpel") vom Dachboden beiseite geräumt werden. Hier liegen viele alte Erinnerungen verborgen: Kinderbücher, Muscheln, Steine, Schlittschuhe, Fussball, Eisenbahn etc. (das könnte auch bei uns im Keller sein). Und vor allem die alte Agfa Klack Kamera - legendär - sowie ein Stapel alter Fotos. Anhand dieser Fotos reisen wir nun mit den Erinnerungen des Protagonisten Markus zurück in seine Jugend in den 60er Jahren. Und ja, es ist wirklich so, durch Fotos entsteht oft erst eine bleibende Erinnerung: Dinge und Leute, an die man sonst gar nicht mehr denken würde, werden durch das Foto und seine Geschichte erst in der Erinnneurg konserviert. So reisen wir zurück ins Jahr 1961, auf die Oster-Kirmes, wo der Ich-Erzähler Markus (14 3/4 Jahre alt) bei einer Losbude den Hauptgewinn zieht. Er hat die freie Auswahl und entscheidet sich für eine Kamera. Damit macht er dann direkt sein erstes Foto, von seiner älteren Schwester Hanna und deren Freundin Sabine, die an der Raupenbahn "mit den Halbstarken herumlungern" (wie es die Eltern ausdrücken würden, die jedoch nichts davon ahnen). Herrlich die Beschreibungen der Kleidung und Frisuren (Pomade, Schmalztollen, Petticoats etc.). Ausserdem erzählt Markus noch, dass er sich damals in dem Sommer in seine neue Nachbarin Clarissa Tinotti aus Fassano / Apulien verliebt hat. Er nennt dieses Jahr seiner ersten großen Liebe im Rückblick "das wahre Jahr", und beschreibt den Sommer "als eine Mischung aus Holunderduft und Fieberschweiss", weil die Mutte Marmelade kocht und er Mumps hat.

Das ganz ist herrlich geschrieben, die Bilder entstehen praktisch imaginär vor mir während ich lese. Bisher kannte ich den Autor noch nicht, aber werde mir auf jeden Fall mal seine bisherigen Bücher ansehen. Herrlich auch wie die Rock´n Roll Musik aus Sicht der Elterngeneration beschrieben wird: "Negermusik, Schmutz und Schund, Hottentottenmusik". Ich denke in der Jugendgeneration der 60er Jahre gab es einen richtigen Bruch zwischen der Eltern-Generation, die noch den Krieg mitgemacht haben, und der Jugend, die quasi im Überfluss groß wurde und stark den amerikanischen Einflüssen unterliegt. Es hat mir sehr viel Spaß gemacht die Leseprobe zu lesen und ich würde daher gerne das ganze Buch lesen.