Bundesdeutscher 1960er-Jahre-Alltag

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rippchen Avatar

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Wirtschaftswunderzeit, Gastarbeiter-Zuzug und Bau der Berliner Mauer, kalter Krieg zweier Weltmächte, atomare Aufrüstung, Kuba-Krise, der erste bemannte Weltraumflug, und, und, und.
Solche entscheidenden nationalen wie internationalen historischen Ereignisse sowie diverse Kriegserinnerungen seiner Familie und eigene „Golden Sixties“-Nachkriegserlebnisse begleiten das Leben (und Lieben) des 14jährigen Markus. Der im goldenen Westen der Republik lebende Apothekersohn ist Hauptakteur in Klaus Modicks Roman „Klack“.
Der Buchtitel steht für die bei einer Jahrmarktsverlosung gewonnene Fotokamera, die auf Knopfdruck öffentliche und private Weltuntergangsstimmung, aber auch globale und individuelle Höhenflüge zwar in mäßiger Qualität, dafür jedoch für die Ewigkeit festhält.

Bereits das Nebeneinander der Zitate von Walter Ulbricht („Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“) und Rocco Granada („Oh nononono no“) zu Beginn des Buches weisen die Richtung für den gesamten Roman: Eine erschreckend-humorige Einstimmung mit Tiefenwirkung.
Dem folgend führt der jugendliche Ich-Erzähler den zuweilen sich persönlich angesprochen fühlenden Leser per eigener Erfahrung sowie mittels familiärem Erzählwissen durch die Nach-/Kriegs-Jahre – und vermittelt auf diese Weise ein Stück jüngster bundesdeutscher Geschichte. Zur Sprache kommen neben der großen Politik vor allem die vielfältigen privaten Sorgen der Menschen zur damaligen Zeit: Die Plaudereien aus dem gesellschaftlichen Nähkästchen dieser bundesdeutschen Epoche sind zweifellos besonders für viele ältere Leser gut nachvollziehbar. „Genau so war es“, wird sich mancher erinnern, wenn von Kriegseinsätzen in sibirischer Kälte und amerikanischen Rosinenbombern, beengten Wohnverhältnissen und trockenen Brotkrusten, Pomade und Petticoat, Salamander und Märklin, Autoscooter und Liebeslaube, Elvis Presley und Buddy Holly, Ludwig Ehrhardt und Juri Gagarin die Rede ist.
Für jüngere Leser ist der Roman ein historisch-literarischer Anschauungsunterricht wie aus dem Lehrbuch, nur eben sehr viel unterhaltsamer.
Dazu trägt Autor Klaus Modick nicht nur mit seinem bildlich-inhaltlichen Erguss, sondern auch stilistisch als Meister der ebenso variantenreichen wie sinnesintensiven Beschreibung bei: Neben flüssig lesbaren Ausführungen werden dem Leser Informationen mittels kurzer Sätze, Satzfetzen und kurzatmigen Wortaufzählungen geradezu ins Hirn gehämmert: Info-Input im Wörtertakt – eben wie fotografiert: Klack
Ob schale Speicherluft, der Duft gebrannter Mandeln oder pomadige Tollen, ob verfallene Nachkriegshäuser oder auch die – mehr oder minder erwiderten - ersten Gefühle für das andere Geschlecht, die Erkenntnis eigener pubertärer Unzulänglichkeiten und die Verzweiflung darüber: In die Lektüre versunken meint man, die beschriebenen Dinge sehen, hören, riechen, schmecken und fühlen - eben mit allen Sinnen genießen – zu können.
Fazit: Ein spezieller und doch ganz allgemeiner bundesdeutscher 1960er-Jahre-Alltag. Klasse!