Toller Roman über eine spannende Zeit von einem guten Erzähler

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Inhalt:
1961 – irgendwo im Norden Westdeutschlands: Der 14jährige Markus gewinnt auf dem Ostermarkt eine Kamera, die namensgebende Agfa Clack. Anhand einiger hiermit aufgenommene Fotos erinnert sich der inzwischen Erwachsene an die erste große Liebe zu der im Nachbarhaus wohnenden Clarissa Tinotti aus der Südspitze Italiens zurück. Zwischen Wirtschaftswunder, Mauerbau und kaltem Krieg gibt es für Markus nichts wichtigeres als dieses erste große Gefühl …

Die insgesamt 224 Seiten des Buches sind in einen Prolog und 15 Kapitel aufgeteilt. Im Prolog spricht der erwachsene Markus, findet auf dem Dachboden die Kamera und Fotos. Jedem Kapitel ist als Einleitung der Name eines Fotos, dessen visuelle Beschreibung und die Gedanken, die er sich als Erwachsener dazu macht vorangestellt. Das jeweilige Kapitel spielt dann aus der Sicht des 14jährigen Markus und erzählt die Geschichte, wie es zu dem Foto kam – immer mit einem eingeschobenen Klack an der Stelle, an der es letztendlich aufgenommen wurde.

Autor:
Klaus Modick, Jahrgang 1951, studierte in Hamburg Germanistik, Geschichte und Pädagogik, und arbeitete zunächst als Lehrbeauftragter und Werbetexter, bevor er 1984 als freier Schriftsteller und Übersetzer tätig wurde. Erfolgreiche Romane waren unter anderem „Sunset“ und „Der kretuische Gast“, er gewann bereits einige Literaturpreise für seine Werke.

Meine Meinung:
„Beim Fotografieren nimmt man vorweg, an was man sich später erinnern will.“ sagt Klaus Modick in der Bildbeschreibung eines Kapitels. Diese Grundhaltung zieht sich durch das gesamte Werk.
Alleine schon die beschriebene Aufteilung des Buches gefällt mir äußerst gut. Anhand von Fotos und Erinnerungen, die den roten Faden bilden eine Geschichte zu erzählen ist zwar keine neue Idee, aber Modick setzt sie konsequent und sehr prägnant um.
Wir erhalten viele Einblicke: in die alles überlagernde Gefühlswelt eines pubertierenden 14jährigen, in den Zeitgeist der Nachkriegs- bzw. Wirtschaftswunderzeit, in die Geschwisterbeziehung von Markus und seiner ca. 3 Jahre älteren Schwester, in die Denkweisen eines Vaters, der den Krieg in Russland mitgemacht hat, eines Onkel Fritz, dem vermutlich homsexuellen Lebemannes und Auswanderers, eines Onkel Ernst samt Gattin, die in der Ostzone vom Kommunismus überzeugt sind, erlebt die ersten Gastarbeiter, sowohl gern geshen aber auch mit Vorurteilen und Skepsis, aus der Sicht der Protagonisten und vieles mehr. Dabei geht Modick in den meisten Fällen der Charakterbeschreibung gar nicht so sehr in die Tiefe, er skizziert gekonnt mit wenigen Worten deren Lebenswelt, eher beiläufig am Rande, da sie für die Hauptgeschichte nur Nebenrollen sind.
Der Leser, so ging es zumindest mir, ist nah am Geschehen und kann sich gut in Markus einfühlen.
An manchen Stellen sind die Gedanken von Markus recht platt formuliert, aber sie treffen immer den Kern und können folgerichtig und konsequent einem 14jährigen durchaus durch den Kopf gehen.
Ich habe für mich mit Klaus Modick einen Erzähler entdeckt, von dem ich sicherlich mehr lesen werde. Zum Schluß lasse ich den Autor noch einmal mit einer meiner Lieblinsstellen zu Wort kommen: (ebenfalls aus den „philosophischen“ Gedanken des erwachsenen Markus in einer der Bildbeschreibungen)
„Es gibt keine reinen Fakten der Erinnerung. Sie bleibt immer eine Konstruktion, ein Mosaik aus Beobachtungen, Reflexionen, Sprache, Bildern, Klängen, Reizen und Gefühlen, eine sich ständig verändernde, instabile Collage, die sich modifiziert, indem sich neue Teilchen an sie ansetzen, während alte abgestoßen werden ins Vergessen. Da Sprache für sich selbst nicht bürgen kann, sondern ihrem Wesen nach Erfindung ist, sind erzählte Erinnerungen ungewiss und neigen zu Märchen und Legende. Vielleicht ist diese Unzuverlässigkeit allen Erzählens ein Grund dafür, dass uns Fotos manchmal mit ihrer Gewalt des "So war es wirklich" überfallen. Das Foto ist also wahr. Aber es ist nur so wahr wie der flüchtige Augenblick, in dem es entsteht.“