Zeitreise light

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alasca Avatar

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Die frühen 60er: Nebenan zieht eine italienische Familie ein. Markus, 15 Jahre alt, verliebt sich in deren Tochter Clarissa, macht erfolglose Versuche der Annäherung, eines Tages ziehen die Nachbarn weg, und die nie stattgefundene Romanze hat ein Ende. Eine an sich triviale Geschichte.

Farbe bekommt sie durch die Struktur des Romans: Jedem Kapitel ist die Beschreibung eines alten, auf dem Dachboden gefundenen Fotos vorangestellt, das Markus mit der titelgebenden Agfa Clack gemacht hat. Aus diesen Fotos entwickelt der Autor die Geschichte, und sie sind ihm Anlass, immer wieder über das Wesen der Erinnerung zu philosophieren.

In Markus´ Umfeld leidet jeder auf seine Art an der Vergangenheit, aber man spricht nicht darüber. Modick zeigt das Nicht-Reden-Können der Menschen einerseits, ihr Vergessen-Wollen andererseits. Er zeigt die Borniertheit der Nachkriegsgesellschaft, aber auch die Sehnsucht nach der großen weiten Welt jenseits deutschen Spießbürgertums, die sich in den Schlager- und Werbetexten ausdrückt. Dieser Aspekt des Romans gefällt mir sehr gut. Die Markennamen, das Vokabular, die Lebenseinstellung, die Sprüche der Eltern – ja, genau so fühlten sich die 60er Jahre an! Meine Mutter hatte offenbar den gleichen Musikgeschmack wie die von Markus, so dass ich sofort jeden der zitierten Schlager im Ohr hatte – komplett mit Text, es war wie eine Zeitreise.

Seltsam fand ich, dass die Nebenfiguren dem Autor farbiger geraten sind als die Protagonisten: Markus Vater, seine Oma, den DDR-Onkel, den Onkel, der den Krieg in Spanien verbracht hat - sie hatte ich lebhafter vor Augen als die beiden Hauptfiguren Markus und Clarissa. Clarissa bleibt unvollständig, und Markus geriet dem Autor ziemlich eindimensional.

Warum sprechen Clarissa und ihr kleiner Bruder perfekt Deutsch, während der Vater (was realistisch ist) Sprachschwierigkeiten hat? Wie geht es ihr mit ihrer Rolle in der Familie? Wie erlebt sie Deutschland, als eine der ersten Ausländerinnen nach dem Krieg? Der unweigerliche Kulturclash (Apulien zu dieser Zeit war sehr arm, sehr bäuerlich, sehr traditionell) wird nur angedeutet in den (milden) Verboten ihres Vaters.

Die Figur Markus funktioniert zwar als Auge und Ohr des Autors, aber nicht als Figur an sich: Seine hormonellen Nöte bleiben einziges Charakteristikum. Markus erlebt all die historischen Geschehnisse, die der Autor in diesem Roman einbaut, nur als Hintergrundrauschen vor seinem zentralen Interesse: Endlich mal rangelassen zu werden, am liebsten von Clarissa, aber gern auch von jeder anderen jungen Frau, die nicht allzu hässlich ist. Mich hat gestört, dass er so gar keine Neugier für Clarissa als Person empfindet. (Für etwas anderes übrigens auch nicht.) Masturbationsphantasien durchziehen das ganze Buch … mir war das ein bisschen viel; stellenweise hatte ich beim Lesen regelrecht Mitleid mit Markus´ sexuell bedingter Beschränktheit. Jedenfalls hielt sich meine Sympathie für die Figur in Grenzen.

Mein Fazit für dieses Buch: Der schön getroffene Zeitjargon des Teenagers ist Stilmittel und bestimmt den heiteren Ton, der Text liest sich flüssig und amüsant und hat durchaus Widerhaken. Trotzdem: Der Blick zurück bleibt schmerzfrei – ich glaube, der Autor hatte nicht die Absicht, zu erschüttern. Er behandelt seine Themen - Verdrängung, Erinnerung – auf die leichte Art. Das kann man ihm vorwerfen oder mögen. Ich fühlte mich gut unterhalten, viele eigene Erinnerungen kamen hoch, das war angenehm nostalgisch, es gab auch das ein oder andere Aha-Erlebnis. Hat also Spaß gemacht, wird mir aber wohl nicht allzu nachhaltig im Gedächtnis bleiben.