Wo ist die Jugend, wenn man sie mal braucht

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martinabade Avatar

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In einem Interview mit dem Berliner Tagesspiegel sagt die Autorin Ilona Hoffmann über ihr neues Buch: „Der Protagonistin bin ich dahingehend ähnlich, dass ich die meiste Zeit das Gefühl habe, den coolen Kids auf dem Bordstein hinterherzuhinken. So, als hätten die ein Fahrrad und ich einen Tretroller.“

Das verspricht doch einiges an Amusement und auch Tiefe. Möglicherweise. Und auch das Cover „Reitende auf glitzerndem Automatenpferd“ ist viel versprechend. Na denn. Auf in’s aufgeschriebene Abenteuer.

Die Geschichte berichtet von Mounia, Leon und der Erzählperson. Alle drei stehen kurz vor dem Abitur in ihrer beschaulichen kleinen Stadt, und „die ganze Welt steht ihnen offen.“ Auf in’s Klischee, auf in die Großstadt, das ist der Plan. In das nie genannte, aber durchaus gemeinte Berlin. Alles das „in Wahrheit erleben“ wovon bisher nur Platten, Bücher und Filme berichtet haben. Sex, Drugs and Rock‚n’Roll. Partys ohne Ende. Gastgeber egal. Introvertierte KünstlerInnen im Schwarzen Café, Kommilitonen im Hardenberg und Milchcafé in eimergroßen Schalen. Mit Henkel wäre das eine langweilige Tasse (wie zuhause) und somit unhip.

Durch Zufall finden die drei eine gemeinsame Wohnung für ein Jahr. Diese Wohnung wird ihre Homebase. „Ihr Platz“ für die erste Zeit. Von dort aus ziehen sie hinaus in die Stadt, alleine oder gemeinsam, treffen sich dort wieder, tauschen sich aus, helfen sich gegenseitig beim Klarkommen, suchen ihren Platz im Biotop Großstadt. Denn: die Realität hält sich nicht an die Versprechungen der Platten, Bücher, Filme und der künstlerischen Garde. Wo sind Sex, Exzess und Orgie? Das Gefühl von Rebellion und der Protest gegen das vorgeformte Erwachsenwerden, wo sind sie? Langsam merken sie alle drei, dass der Trip in die Großstadt läuft wie eine Kaffeefahrt. Kaffee und Kuchen gratis, die spannenden und wundersam funktionierenden Gesundheitsapparate müssen teuer bezahlt werden. Sonst der dreht der Veranstalter den Schlüssel vom Saal um.

Dabei erzählt Ilona Hartmann die Geschichte nicht chronologisch an einem Faden entlang. Die Autorin (Jg. 1990) arbeitet für das Radio, ist sehr präsent auf X und Instagram. Also ist bei 1200 Zeichen Schluss (ironische Überzeichnung!). Und so haben wir hier eine Sammlung von Textstücken, die sich einem Tetrisspiel gleich langsam zusammensetzen, und das Bild komplettieren. Sie nutzt dabei die ganze Bandbreite menschlicher Gefühle. Leise und laut, blökend oberflächlich oder mit großer Tiefe – und fast immer mit Witz und Ironie. Das muss man mögen. Für diejenigen, die das tun, ist das Buch ein großes Lesevergnügen.

Die Kritik kritisiert: keine Handlung, keine psychologische Entwicklung der Figuren, alles zu statisch. Wo sind denn nun die erfüllten Erwartungen?

Die Frage nach dem Platz im Leben bleibt unbeantwortet; dafür gibt es eine andere Erkenntnis unaufgefordert gratis: Zuhause ist’s doch nicht immer so schlecht.