ein leseerlebnis der extraklasse

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blätterwald Avatar

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Celeste Ng hat meine Erwartungen, die ich nach ihrem Debüt hatte, voll erfüllt. Was für ein grandioses Buch. Schlicht, aber so voller genialer einfacher Sätze, die mehr sagen, als andere es in Kapiteln vermögen.
„Am liebsten hätte er sich in die winzigen Schnörkel ihrer Handschrift geschmiegt.“ So ein Satz sagt so vieles und ist so liebevoll geschrieben.
Shaker Heights, eine geplante Gemeinde in den Staaten, ist der Ort des Geschehens. In nur wenigen Sätzen umreißt die Autorin das Bild dieser Gemeinde, wo alles derart genormt ist, dass es unglaublich, aber wieder wahr klingt. Und hier leben die Richardsons, eine typische Kleinstadtfamilie. Mutter Reporterin eines Stadtmagazins, Vater Anwalt und vier Kinder von 15 bis 28, zwei Jungs und zwei Mädchen, wobei die Jüngste, Izzy, das schwarze Schaf der Familie zu sein scheint. Denn bei Ng ist nicht alles immer so, wie es anfangs scheinen mag.
Die Richardsons vermieten noch ein kleineres Haus, und in dieses zieht die Fotografin Mia mit ihrer Tochter Pearl, 15 Jahre alt. Sie sind das Gegenstück zu den Richardsons, nicht sesshaft und so gar nicht in die durchstrukturierte Gemeinde passend. Aus dieser Melange formt Ng ihre Geschichte. Eingebettet in den Rahmen des brennenden Hauses der Richardsons, entfaltet Ng ein ganzes Panorma. Ein Bilderbuch an Spießigkeit, Leben, Träumen und Wünschen, an Liebe und Verlogenheit, an Sein und Schein.
Aber das Beste ist es, wie Ng es macht. Sie zeigt, was sie sieht. Sie erzählt es nicht. Wertungsfrei, so wie die Geschichten eben passieren. Sie hat sich viel Mühe mit ihren Figuren gegeben. Sie führt sie in keiner Weise vor, niemanden, nicht Trip oder Moody, nicht Miss Richardson oder auch nicht die kleinste, scheinbar unbedeutendste Nebenfigur. Sie wertet nicht, nicht ihr Handeln und nicht das Denken der Person. Sie zeigt sie nur und überlässt alles andere ihrem Leser. Jede Figur hat seinen Platz, seine Geschichte und ist immer mehrdimensional dargestellt. Alles stimmig und die Figuren können nur so handeln, wie sie es tun. Ng ist da sehr präzise, wie auch schon in ihrem Debüt. Nichts passiert nur so bei ihr, alles ergibt einen Sinn. Sie sagt nicht viel, aber das was sie sagt, ist durchdacht. Sie führt den Leser durch die Geschichten, zeigt die ganzen verschiedenen Leben, zielsicher. Aber dem Leser bleibt ausreichend Raum für sich.
Und wie viele Aspekte sie beleuchtet. Die ganzen unterschiedlichen Beziehungen untereinander, Mütter, wie unterschiedlich sie sein können und doch ein Ziel haben. Es geht um Liebe, um das Aufwachsen, Beziehungen der Geschwister untereinander, Lebensformen, die unterschiedlicher nicht sein können. Ein ganzes Epos an Geschichte in nicht einmal 400 Seiten gepackt. Was ist Moral, was ist Anstand, wie verhält man sich richtig? Es gibt die Fassaden und es gibt ein dahinter. Und Ng hält alle Fäden in der Hand. Und wagt sich an schwierige Themen.
Wie kommt es letztendlich zu dem Brand? Ist Izzy, wie gleich zum Anfang des Buches behauptet wird, wirklich die Täterin? Das wird in dem Buch erklärt und der Leser muss sich auf einiges gefasst machen. Welche Auswirkungen scheinbar kleine Details auf das Leben anderer haben können. Geheimnisse, die ans Licht kommen und doch nicht vollkommen geklärt werden. Unausgesprochenes, das gefährlich wird.
Es ist für mich schwierig, diesem Buch gerecht zu werden. Ich habe es regelrecht verschlungen. Mir gefällt der Schreibstil der Autorin, wie sie die Geschichten entwickelt und die Figuren erschafft und mit ihnen umgeht. Wie sie scheinbar leicht mit wenigen Worten viel erzählt. Eine für mich großartige Autorin, die es wert ist, gelesen zu werden. Der Titel „Kleine Feuer überall“ ist sorgfältig gewählt worden und passt perfekt zum Buch.