Ein Stückchen Amerika unter der Lupe

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In ihrem neuen Roman "Kleine Feuer überall" nimmt Celeste Ng quasi ein kleines Stück Amerika, verkörpert durch den fiktiven Ort Shaker Hights in Cleveland/Ohio, unter die Lupe und analysiert die Strukturen, die sich dort seit Jahrzehnten entwickelt haben. Im Mittelpunkt der Geschichte steht die Familie Richardson. Mutter Elena ist Journalistin und schreibt Artikel für die örtliche Zeitung. Ihr Mann ist Anwalt. Ihre vier Kinder Lexi, Trip, Moody und Izzy sind mehr oder weniger verwöhnte Kiddies, die sich um nichts Gedanken machen müssen. Lediglich Izzy rebelliert gegen ihr spießiges Elternhaus und sucht nach ihrem eigenen Lebensweg. Als die Künstlerin Mia mit ihrer 15-jährigen Tochter Pearl in das Mietshaus der Richardsons einzieht, wird das geordnete Leben der amerikanischen Wohlstandsfamilie gehörig durcheinander gewirbelt, denn nicht nur die beiden männlichen Sprösslinge der Richardsons verlieben sich in die außergewöhnliche Pearl, sondern auch Mia zeigt den weiblichen Familienmitgliedern, dass es noch andere Lebensplanungen gibt, als diejenigen, die sie bisher in Erwägung gezogen haben. Und so wundert es den Leser nach Beendigung der Lektüre des Buches dann tatsächlich nicht mehr, dass Elena Richardson zu Beginn der Geschichte im Morgenmantel vor der Asche ihres abgebrannten Hauses steht.
Celeste Ng ist zweifelsohne ein guter Roman gelungen. Den Beginn der Story fand ich besonders stark und mitreißend. Die Autorin zeichnet meisterhaft das Bild der amerikanischen Puppenstubenstadt. Man hat an einigen Stellen des Buches das Gefühl, nicht Mia macht gelungene Momentaufnahmen ihrer Umgebung mit ihrer Kamera, sondern es ist vielmehr die Autorin, die diese Bilder mit ihren Worten und Beschreibungen entwickelt. Je mehr die Geschichte allerdings voranschreitet, desto mehr flacht diese tolle Art der Darstellung aber meiner Meinung nach ab. Die Person der Mia, die von Beginn an ein wirklich starker Charakter ist, ergreift zum Schluss des Buches einfach die Flucht, wie sie es schon vorher so oft getan hat. Stimmiger wäre für mich aber gewesen, wenn sie den Konflikt dieses Mal ausgetragen hätte. Auch die Figur der Izzy erschließt sich mir nicht so ganz. Wäre für sie Brandstiftung tatsächlich eine Lösung oder hat Mia ihren Ratschlag nicht eher sinnbildiich gemeint?
Nichts desto trotz fand ich "Kleine Feuer überall" ein sehr lesenswertes Buch. An manchen Stellen hätte ich mir in der Handlung der einzelnen Personen noch mehr Konsequenz gewünscht.
Schade fand ich allerdings, dass uns zum Vorablesen vom Verlag ein sogenanntes "Rohmanuskript direkt aus der Werkstatt" geschickt wurde. Irgendwie hat es mich beim Lesen gestört, dass die Seiten nicht eben abgeschntten waren und der Umschlag sicher so nicht in seiner entgültigen Gestalt vorlag. Aber das ist wirklich eine Empfindlichkeit meinerseits und auf jeden Fall "jammern auf hohem Niveau".