Ng begeistert auch mit ihrem zweiten Roman

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mrsamy Avatar

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Das Haus der Richardsons brennt. Mrs. Richardson steht im Bademantel auf ihrem wohlgepflegten Rasen und kann es nicht fassen. Eigentlich hält ihr Leben keine Überraschungen bereit, schließlich wohnt sie in Shaker Heights – einem Vorort von Cleveland, Ohio. Die Stadt wurde auf dem Reißbrett geplant und alles in ihr ist streng geregelt. Den die Einwohner von Shaker sind überzeugt, dass nur Regeln – über alle Bereiche des Lebens hinweg ein Garant für ein glückliches Dasein sind. Und natürlich passen die Richardsons perfekt in diese scheinbare Idylle – vier Kinder, davon nur das Letzte rebellisch und wild, der Vater ist Partner einer Anwaltskanzlei und Mrs. Elena Richardson schreibt kleine Geschichten für die Lokalpresse. Doch nun steht ihr Haus in Flammen. Wie konnte es soweit kommen?

„Kleine Feuer überall“ ist der zweite Roman von Celeste Ng, die mich mit ihrem Debüt „Was ich euch nicht erzählte“ ganz in ihren Bann geschlagen hatte. Auch ihr neues Buch lässt sich nur extrem schwer aus der Hand legen. Der Brand ist Anfangs- und Endpunkt des Romans, und Ng entwickelt die Handlung langsam aber stetig und bald schon ist die Dynamik der Geschehnisse unaufhaltsam. Im Mittelpunkt steht – entgegen dem, was man vom Klappentext her vermuten könnte – weniger Mrs. Richardson als vielmehr ihre vier Kinder Lexie, Woodie, Trip und die rebellische Izzy sowie die neuen Mieter ihres zweiten Hauses Mia und ihre Tochter Pearl. Mia ist eine rastlose Fotokünstlerin, die zwar mit ihrem außergewöhnlichen Fotografien durchaus gutes Geld verdient, doch es dauert stets zu lange, bevor ein Projekt dem nächsten folgt. So hält sie sich und ihre Tochter zugleich mit mehreren Nebenjobs über Wasser. Pearl liebt ihre Mutter, leidet aber auch darunter, dass nach jedem abgeschlossenen Projekt eine neue Station, eine neue Stadt auf sie wartet. Shaker Heights allerdings soll nun – nach den Worten ihrer Mutter – zur festen Basis werden. Pearl freundet sich mit den Kindern der Richardsons an, wird bald zum Dauergast in dem schönen Haus. Doch dann erschüttert etwas die Idylle von Shaker und Mrs. Richardson erkennt bald, dass Mia der Auslöser davon ist. Sie beschließt in der Vergangenheit der Künstlerin zu wühlen und wird schließlich fündig.

Für mich ist das Besondere an Ngs Schreibstil, dass sie es versteht, nicht nur eine Seite zu beleuchten, sondern mehrere. So wird deutlich, wie wenig man Ereignisse und Menschen in schwarz und weiß einteilen kann, sondern dass es immer Nuancen dazwischen sind. Jeder hat seine eigenen Beweggründe. Aus der einen Richtung erscheint eine Handlung vielleicht unsinnig, egoistisch oder böse. Aus einer anderen dagegen voller guter Absichten. Ng führt dem Leser auch in „Kleine Feuer überall“ vor Augen, dass man niemanden vorschnell verurteilen sollte, dass es sich lohnt, genauer hinzusehen und einen anderen Standpunkt anzunehmen. Allerdings muss man aber auch sagen, diese Vorgehensweise von Ng ist bekannt und ich stelle mir durchaus die Frage, ob ihre (folgenden) Romane so nicht an Reiz verlieren. Wer ihr Debüt kennt, der kann in ihrem neuen Buch manches vorhersehen. Die Charakterzeichnungen der Autorin sind wieder mehr als gelungen. Es gelingt ihr hervorragend, den Figuren ganz eigene und unterscheidbare Züge zu verleihen. Keiner ist austauschbar, sondern das wirkliche Ergebnis von Ereignissen und Erfahrungen.

„Kleine Feuer überall“ ist damit für mich schon jetzt eines der Lesehighlights 2018. Ein wirklich sehr guter Roman von einer außergewöhnlichen Autorin.