Schwierige Verhältnisse hinter glatter Fassade

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Das Buch führt eine perfekte, voll durchgeplante, makellose Welt vor, in der sich die Zukunft stabil, geregelt und gesichert in Aussicht stellt. Eigentlich kann gar nichts mehr schiefgehen, wenn ihre Bewohner in den vorgezeichneten Bahnen bleiben, dem Ideal weiterhin entsprechen und nur ja nicht an Veränderungen und Durchmischung denken. Doch genau das trifft ein, als die Anwaltsfamilie Richardson aus der oberen Mittelschicht einen Teil ihres Hauses an eine alleinerziehende, nomadenhafte Künstlerin vermietet. Auch der Ortsteil selbst, in dem die Richardsons leben, ist durch einen Streit aus dem Gleichgewicht geraten, eine beginnende Unordnung droht die herrschende Idylle zu kippen. Überhaupt scheint Shaker Heights hinter der Zeit herzuhinken.
Da können kleine, noch metaphorische, Feuerchen nicht ausbleiben, die sicher bald hätten gelöscht werden können. Doch nach und wachsen sie zu grösseren Flammen und werden zu einem realen Brand, der brüllend um sich greift.
Beim Lesen habe ich mich manchmal gefragt, wieviel vom Geschehen Traum und wieviel Wirklichkeit ist. Was steckt eigentlich hinter allem? Wo hat dieses Feuer denn seine erste Nahrung finden können? Der Roman beginnt in der Gegenwart, als die Familie fassungslos vor ihrem brennenden Haus steht. In Rückblicken lernt der Leser das fortlaufende Geschehen immer wieder aus einer anderen Sicht kennen und verstehen. Celeste Ng greift dabei weit in die Tiefe und wirft wichtige und grundsätzliche Fragen auf.
Der Erzählfluss ist ein stetes Auf und Ab, was oftmals auf Kosten der Spannung geht. Ich hätte mir vor allem für den Anfang mehr Drive gewünscht, weniger zäh und langatmig, denn am liebsten hätte ich das Buch wieder aus der Hand gelegt. Die Personen wirken zu Beginn noch etwas grau und schal, sie entwickeln ihre Farbe und Konsistenz erst relativ spät, was die Spannung dann jedoch stark steigen lässt. Ein wahrer Blumenstrauss an Charakteren breitet sich vor dem Leser aus.
Ich war schon begeistert von Celeste Ngs erstem Buch, "Was ich euch nicht erzählte" und empfehle die "Kleinen Feuer" allen, die noch mit Genuss und Geduld zu lesen verstehen. Hoffentlich gibt es bald ein weiteres Werk der Autorin in deutscher Übersetzung!
Ich habe ein Roh-Manuskript direkt aus der Werkstatt erhalten und bedanke mich beim dtv-Verlag dafür.