Fesselndes Psychogramm einer Mutter

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@annisbuecherregal Avatar

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Pia und Jakob werden ins Schulbüro gerufen: Ihr siebenjähriger Sohn soll einer Mitschülerin gegenüber sexuell übergriffig geworden sein?
Während Jakob dem Mädchen glaubt, hat Pia Zweifel. Sie möchte die Wahrheit von ihrem Sohn hören, versucht es mit allen Mitteln. Doch der schweigt.
Und während sie sich mit dem Problem auseinandersetzt, kommt mehr und mehr ihr eigenes Kindheitstrauma zutage: Denn sie weiß sehr wohl, dass Kinder “kleine Monster” sein können.

Jessica Lind erschafft mit ihrem neuesten Roman ein fesselndes Familiendrama. Sie legt das Hauptaugenmerk dabei auf Pias Psyche.
Kurze, szenische Kapitel wechseln zwischen der Gegenwart und ihrer eigenen traumatischen Vergangenheit, erzeugen dabei ein hohes Erzähltempo und bedrückende Spannung.
In “Kleine Monster” geht es um die Ambivalenz des Elternseins, um verschiedene Erziehungsmethoden, um Trauer, Schuld und Verdrängen. Auf 250 Seiten entsteht hier eine enorme Themendichte und doch wirkt es nicht überladen.
In vielen Gedanken um Pias Sohn konnte ich mich selbst wiederfinden: die Versuche, alles richtig und besser zu machen als die eigene Mutter; die Verzweiflung, wenn man sein Ziel nicht erreicht, weil das Kind eben ein eigener Mensch ist.
Auch die Vergangenheitskapitel sind sehr spannend: aus einer Kindheitsidylle wird schon bald ein Albtraum und man stellt sich mehr und mehr die Frage: Wer trägt die Schuld? Kann man überhaupt jemanden beschuldigen? Und gibt es von Natur aus böse Kinder?
Was steckt eigentlich hinter den Fassaden von vermeintlich perfekten Familien?

Der einzige Kritikpunkt ist für mich das recht offene Ende. Dennoch ist “Kleine Monster” für mich definitiv eines meiner Jahreshighlights und bekommt ⭐️5/5⭐️.