Lebensnah
Lebensnah. Ein Buch nicht nur für junge Familien, die die Erziehungsratgeber der Koryphäe Jasper Juul studiert haben und immer noch glauben, nicht alles richtig zu machen. Kinder haben ein Eigenleben, müssen sich ins Leben reinarbeiten, was in einer Zeit, in der sie rund um die Uhr von ihren Helikoptereltern liebevoll begleitet, aber auch kritisch dahingehend beobachtet werden, ob mit der Entwicklung auch alles 'normal' verläuft, nicht immer einfach ist. Und dann haben all diese Eltern ja noch die Erinnerungen an ihre eigene Kindheit, die mit der eigenen Elternwerdung wieder ins Bewusstsein rücken, welche Erziehung sie genossen haben und was sie auf jeden Fall vollkommen anders machen wollen wie die eigenen Eltern. Und genau das ist die Geschichte, die Jessica Lind in ihrem Roman 'Kleine Monster' erzählt. Die Eltern Pia und Jakob werden wegen eines 'Vorfalles' mit ihrem Grundschul-Sohn Luca zu einem Elterngespräch eingeladen. Luca will nicht so recht darüber sprechen, die Eltern wollen ihn auch nicht unter Druck setzen und sind innerlich und auch untereinander hin-und hergerissen, welcher Seite sie Glauben schenken, wem sie vertrauen sollen. Die Geschichte wird aus Pias Perspektive erzählt, die sich zunehmend an ihre eigene Kindheit erinnert - sie selbst die 'Große' von drei Schwestern, die 'Mittlere' ein Adoptivkind und die 'Jüngste' schon früh in einem See ertrunken. Jessica Lind gelingt es ganz hervorragend, Vergangenes und Gegenwärtiges miteinander zu verweben und die Leser:innen in die höchst emotionale Story hineinzuziehen. Es galt lange als relativ normal, dass man sein Kind zuweilen am liebsten aus dem Fenster schmeißen wollte, allerdings als nicht normal, es tatsächlich auch zu tun. Heute aber muss man sich diesen Gedanken vollständig verbieten. Sich Gedanken und Gefühle zu verbieten produziert aber auch gleichzeitig eine Distanz zum Kind; der Anspruch immer alles korrekt zu machen, auch um dem kritisch beobachtenden Umfeld 'andere Eltern' zu genügen lässt kaum die so wichtige Nestwärme aufkommen. Aber ich will kein Erziehungsratgeber sein. Am Besten "Kleine Monster" lesen.