Begegnung bedeutet Veränderung

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jenniferbihr Avatar

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Das Buch ist das, was Philosophie sein soll: Prägnant, niedrigschwellig und lebensnah.
„Kleine Philosophie der Begegnung“ ist ein Buch von Charles Pépin, welches 2022 durch den Carl Hanser Verlag veröffentlicht wurde und sich mit der Frage beschäftigt, was Begegnungen ausmacht.
Dabei argumentiert Pépin auf mehreren Ebenen: Wenn Begegnungen am Anfang des Buches noch das offene aufeinander zugehen waren nimmt seine Argumentation im Verlauf des Buches an philosophischer Tiefe zu, ehe sich Pépin Hegels Hermeneutik widmet und dabei durch Erfahrungsberichte den Realitätsbezug nicht verliert.
Das wundervolle an diesem Buch ist, dass kein Vorwissen benötigt wird, um gleich Anschluss zum Thema zu finden. Dieser Zugang wird durch Pépins präzise und klare Schreibweise erleichtert weswegen er auch komplexe Themen leicht verständlich vermittelt. Dabei schildert Pépin Erfahrungen, die man aus dem eigenen Alltag kennt: Sei es das wie-von-selbst entstandene Gespräch mit einer zuvor fremden Person, bei dem man sich fühlt, als würde man gerade tatsächlich gesehen werden oder wenn man mit einer Person an einem Projekt arbeitet, das überraschenderweise so viel mehr wurde.
Dabei zeigt Pépin geschickt auf, was Begegnungen mit uns machen. Oder auf Philosophendeutsch: Er zeigt, dass Begegnungen ein hermeneutischer Zirkel sind.
Denn Begegnungen führen zu Veränderungen: Veränderungen in uns und Veränderungen in der Art und Weise, wie wir die Welt betrachten. Oder konkreter: Begegnungen zwingen uns dazu unsere Stereotypen und Vorurteile zu hinterfragen und auf die Probe zu stellen. So können wir nicht mehr sagen, dass Kunst wertlos ist, wenn uns gezeigt wurde, dass Kunst erlebt werden kann. Wir können nicht mehr sagen, dass die Jugend verdorben ist, wenn wir sehen, dass Kinder mit anderen Werten aufwachsen. Wir können nicht mehr sagen, dass Frauen gleichberechtigt sind, wenn wir sehen, wie Frauen noch immer an veralteten Rollenidealen bemessen werden.
Diese Veränderungen gehen auch nicht in uns verloren, denn sie werden auch in unserer Welt wirksam – gerade dann, wenn wir anders auf Menschen zugehen und neue Möglichkeiten erkennen, uns selbst zu verwirklichen. Das passiert dann, wenn wir uns selbst durch Kunst verwirklichen, obwohl wir sie vorher geächtet haben, Jugendliche fördern, statt sie zu verurteilen oder für Frauenrechte einstehen, anstatt Frauen mangelnde Mündigkeit vorzuwerfen.
Deswegen ist dieses Buch eine Begegnung, die ich allen empfehlen kann. Es ist eines der wenigen Bücher, die mich geprägt haben und dazu führte, dass ich mehr Vorfreude im Alltag auf das Außergewöhnliche empfinden wollte. „Kleine Philosophie der Begegnung“ ist ein Buch für die Menschen, die Neugier an allem Neuen haben und es lieben in jedem neuen Kontakt Potenzial für neue Erfahrungen zu sehen.