Harry Hole, tot oder lebendig?

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philipp.elph Avatar

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Da ist er wieder, Gaukler Jo Nesbø mit dem neuen Thriller Koma. Ein weiteres Mal manipuliert er seine Leser, schickt ihre Gedanken in falsche Richtungen und täuscht.

Es ist jedoch keine bösartige Manipulation. Nesbø behauptet bei der Vorstellung seines Buches in Frankfurt, dass es vielmehr einen Pakt zwischen ihm und den Lesern gebe, in dem die Leser die Täuschungen akzeptieren.

Wir glauben, an einer Beerdigung teilzunehmen, und merken erst Seiten später, dass wir eine Hochzeit erleben.

So oder ähnlich geht es ein ums andere Mal. Zwar wird schnell klar, Harry Hole hat die Schüsse, die am Ende von Die Larve – dem vorhergehenden Harry-Hole-Thriller - auf ihn abgegeben wurden, überlebt, aber die Motive, warum in diesem Thriller Polizisten ermordet werden, bleiben zunächst verborgen.

Polizistenmorde als Kopien ungelöster früherer Morde, denen Vergewaltigungen und andere Verbrechen voraus gegangen sind, beschäftigen Sozialsenatorin, Polizeipräsident und das Dezernat für Gewaltverbrechen in Oslo. Die ermittelnden Beamten erkennen: Ohne Harry Hole geht es nicht. Sein Stuhl bleibt zunächst leer. Als er endlich auftaucht doziert er:


"Aber ist das Motiv in diesen Fällen Rache, Hass, oder gar Liebe? Es gibt für jedes Motiv potenzielle Täter, aber es dauert viele Seiten, bis der geniale Ermittler mit Hilfe seines Teams den Zusammenhang zwischen Motiv, Tatwerkzeugen und anderen Indizien erkennt."

Zudem spielt in diesem Thriller auch die Vergangenheit einiger Protagonisten mit. Was in Die Larve passierte, hängt sowohl Harry Hole als auch anderen damals Agierenden nach, spielt bei der Suche nach dem Motiv und auch deren Vertuschung eine bedeutende Rolle. Und so erscheint Koma als Folgeband mit der Verletzung Holes als ein aber nicht alleiniges Bindeglied.

Neben (oder mit?) allen Manipulationen ist Jo Nesbø wiederum ein Kriminalroman gelungen, der über mehr als 600 Seiten so packend geschrieben ist, dass man die Lektüre nur aus zwei Gründen unterbrechen möchte:

Um sich vom hohen Erzähltempo mit den zahlreichen Ereignissen und Wendungen zu erholen, oder um seine Nerven wieder einmal zu beruhigen, weil es so viele Szenen gibt, die einen nicht kalt lassen, Gänsehaut erzeugen, mitzittern lassen.

Zum Schluss dann das große Aufatmen, wenn es nach all diesem Lesestress fast ein wenig romantisch wird.

"Jeder, der sich nicht für Gerechtigkeit einsetzt, sollte ein schlechtes Gewissen haben."

Aber – was bitte ist Gerechtigkeit? Darüber gibt es durchaus unterschiedliche Auffassungen. Und die prallen in Koma aufeinander.