Kanonenfutter für Männer, die jedes Maß verloren haben

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ismaela Avatar

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Winnie M Li hat einen Roman geschrieben, der laut J. T. Ellison „ (…) wie die metoo-Bewegung noch jahrelang nachhallen wird (…)“ und der die dunklen Seiten des Filmbusiness beleuchtet.

Ich bin kein großer Filmfan, ich finde es mittlerweile langweilig und ermüdend, sich vor eine Lein-wand zu setzen (egal ob im Kino, oder im Wohnzimmer) und mir eine Geschichte anzusehen, bei der schon alles vorgegeben ist: wie die Personen aussehen, wie sie sprechen, wie und wo sie wohnen, arbeiten – sogar die Musik ist schon „fertig“. Für Kopfkino bleibt da überhaupt kein Raum mehr, und seit die Hauptmasse eines „Blockbusters“ aus Computeranimation und Special Effects besteht, ist das Ganze noch öder und stupider als ohnehin schon. Und nach dem Lesen von „Komplizin“ empfinde ich das ganze Business noch abstoßender als vorher.

Die Autorin beschreibt die Geschichte von Sarah Lai, einer fiktiven jungen Frau chinesischer Immig-ranten, die sich durch außergewöhnlichen Fleiß und Arbeitswillen in einer Indie-Film-Produktionsfirma nach oben arbeitet, einen Film (mit)produziert, der der Hauptdarstellerin zum Durchbruch verhilft, und orientiert sich dabei an ihrer eigenen Biografie und greift auf die metoo-Bewegung zurück, die mit dem Fall von Harry Weinstein ihren Anfang nahm.
Dass es hinter den Kulissen von Filmproduktionen (nicht nur in Hollywood) nicht rosig zugeht, dürfte allgemein bekannt sein, doch die Beschreibungen Lis bzw. Sarah Lais, die vor allem das Mädchen- und Frauenbild herausarbeiten, sind hochgradig widerwärtig und verstörend. Talent zählt überhaupt nicht, einzig und allein, ob frau f***ckbar ist, spielt eine Rolle. Männer vergessen in diesem Umfeld erneut jedes Maß an Anstand und Moral, holen sich – auch mit Gewalt – jeden (vor allem sexuellen) Genuss, den sie sich gönnen möchten und vernichten innerhalb weniger Minuten ganze Leben. Im Buch spricht eine Produzentin vom „Kanonenfutter“, die diese Frauen darstellen: in der Hoffnung, ihrem Ziel der Schauspielerei näher zu kommen, werden diese ausgebeutet und benutzt, noch bevor sie überhaupt in die Nähe einer Kamera gelangen. Die, die am Schluss übrig bleiben, haben ein kurzes Zeitfenster, in denen sie für den (männlichen) Film-Blick interessant sind, bevor die nächsten jungen Hüpfer herhalten müssen. Ist man den Männern nicht zu Willen, folgt die Bestrafung auf dem Fuß: Sarah Lai wird übergangen, ausgegrenzt und letztendlich gefeuert.

Winnie M Li schreibt klar und flüssig, man kann sich dem Text kaum entziehen, und obwohl sie keinen Abgrund auslässt, kommt sie nicht mit der Frontalkeule, sondern deutet vieles an – was für viele Leser:innen, die von diesem Thema getriggert werden, sehr hilfreich sein könnte. Aber vielleicht ist es auch genau das, was mich an dem Buch ein bisschen gestört hat. Er reiht sich in die Geschichten der metoo-Bewegung ein, aber um daraus herauszustechen, müsste der Roman entweder viel drastischer geschrieben sein, oder als eine Art Romansachbuch aufgebaut werden, ähnlich wie Oliver Sacks „Zeit des Erwachens“. So bleibt das Buch als solches zwar wirklich lesenswert und spannend, aber ob es noch jahrelang nachhallen wird, wage ich zu bezweifeln. Und auch der Titel ist problematisch: auch wenn viele wissen, was abläuft, was passiert ist, wie man behandelt wurde: es sind immer die Täter, die schuldig sind. Die verantwortlich für ihr Tun sind. Es sind die Täter, die eine Entscheidung treffen. Es sind die Täter, die zerstören. Punkt.