Gute Figuren aber furchtbare Krimihandlung

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Rezension zu: Krähenmann

Prämisse:

Kaum ist die 16-jährige Vollwaise Clara auf dem Eliteinternat Rotensand eingetroffen wird einer ihrer weiblichen Mitschüler ermordet und mit angenähten Krähenflügeln aufgefunden, und diese Tote stellt erst den Beginn einer grausamen Mordserie da. Während Clara zu ermitteln beginnt erhält sie anonyme Nachrichten von einer Person, die sich selbst als den Ratgeber bezeichnet. Das Motiv des „Krähenmanns“ scheint in der Vergangenheit des Internats zu liegen, was Clara jedoch erst realisiert als es schon fast zu spät ist.

Bewertung:

Beginnen möchte ich meine Rezension mit einem Lob des Hauptcharakters. Clara Hansen ist eine durchweg symphatische Figur, die in dem Leser – im Gegensatz zu einigen anderen Figuren aus vergleichbaren Büchern – nicht mit einer abfälligen Bewertung der Schüler und/oder Lehrerschaft oder dummen Verhalten, das im Gegensatz zu einer behaupteten Intelligenz steht, dem Wunsch weckt der Mörder würde sie doch bitte erwischen, damit das Buch einen besseren Hauptcharakter erhält. Stattdessen zeigt Clara, obwohl sie es in ihrem Leben nicht gerade einfach hatte, ein hohes Maß an Freundlichkeit und Empathie. Zudem geht sie auch bei ihren Ermittlungen sehr durchdacht vor und wirkt für ihr Alter generell sehr erwachsen. Des weiteren lässt sich die Entstehung von Claras Persönlichkeit sehr gut durch ihr bisheriges Leben erklären. Ich hätte mir für dieses Buch keinen besseren Hauptprotagonisten wünschen können.
Die Nebencharaktere sind ebenfalls gut gelungen. Bis auf den Kreis der „Mobber“ um Melanie sind alle Figuren durchaus sympathisch, besonders Claras Mitbewohnerin Susanne. Was mir ebenfalls sehr gut gefiel war, dass sich in diesem Buch die Nebenfiguren endlich einmal nicht durch ein „furchtbares Geheimnis“ definieren sondern über ihre Charaktereigenschaften. Danke dafür. Des weiteren ist auch der Mörder sehr gut ausgearbeitet. Auch wenn seine Taten natürlich nicht zu rechtfertigten sind, gilt dies nicht für seine Beweggründe und dadurch, dass wir viele Kapitel aus seiner Perspektive sehen, erhält der Leser einen guten Eindruck in seine Psyche. Allgemein geschrieben zeigen die Figuren – zumindest nach meinem Empfinden – nahbare und realistische emotionale Reaktionen. Über den Aspekt der Figurenzeichnung kann ich also nichts negatives schreiben.
Auch auf der erzählerischen Ebene weiß „Krähenmann“ zu überzeugen. Der Schreibstil befindet sich auf einem guten Niveau und zeichnet sich insbesondere durch seine gute Wiedergabe der Gedanken der Hauptfigur wieder.
Hinzu kommt die Legende des Spatzenmädchens, welche der Leser früh in der Geschichte erzählt bekommt. Diese Legende ist ein gutes Foreshadowing und etabliert das Thema des Buches: Mobbing und seine Folge. Das Finale des Buches ist ebenfalls spannend und damit gelungen.
Ist „Krähenmann“ also ein Genremeisterwerk? Ein Jugendthriller der sich vor den großen des Genres nicht verstecken muss? Nein, das ist es leider nicht. Denn während ich an der stilistischen Ebene und der Figurenzeichnung nichts auszusetzen habe, so kann ich dies bedauerlicherweise beim besten Willen nicht über die geschichtliche Ebene sagen. Hier gibt es nämlich gleich mehrere gewaltige Probleme welche den Gesamteindruck des Buches insgesamt sehr herunterziehen.
Zum einen wären da einige große Logiklücken. Besonders das Verhalten der Polizei und der Internatsleitung wirkt hochgradig unprofessionell. Während die Polizei ungeachtet der Tatsache, dass die Opfer des Mörders auschließlich Internatsmädchen sind nicht auf die Idee kommt in der Vergangenheit des Internats nachzuforschen, um das Motiv sowie die Identität des Mörders in Erfahrung zu bringen, verhält sich die Internatsleitung – insbesondere dafür, dass sie die Leitung eines Eliteinternats ist – noch unintelligenter. Nicht nur, dass die Sicherheitsvorkehrungen am Internat trotz mehrerer Morde nicht erhöht werden (man „bittet“ die Schüler lediglich darum sich nicht vom Schulgelände zu entfernen und nicht alleine unterwegs zu sein), nein zusätzlich legt die Schule zwei weiblichen – also dem Opferprofil entsprechenden - Schülern eine Strafarbeit auf die weit außerhalb des Schulgeländes erledigt werden muss, während der Mörder frei herumläuft. Was könnte da bloß schiefgehen? Über all dies könnte ich – gerade eben noch so – hinwegsehen, wenn das Buch mir im Ausgleich eine fesselnde und gut konstruierte Kriminalhandlung bei welcher ich mitfiebern und miträtseln kann, kredenzen würde. Doch nach etwas derartigen habe ich im Buch leider vergebens gesucht. Das hat mehrere Gründe. 1. Die Kapitel welche aus der Sicht des titelgebenden Krähenmanns, wie Clara ihn tauft, geschrieben sind, geben dem Leser zahlreiche Informationen über ihn und das leider nicht nur auf der psychischer Ebene, was für mich wie bereits beschrieben eine Stärke darstellt, sondern auch das Geschlecht sowie einige -wenn auch vage – Daten zu seinem Aussehen und Alter. Dies hat den überaus frustrierenden Effekt, dass der Leser praktisch jede Figur a priori als Mörder ausschließen kann - weil die Daten die man erhält auf keine einzige Figur zutreffen - darunter auch Claras Hauptverdächtigen, bis schlicht und ergreifend niemand mehr übrig ist, der als Mörder in Frage kommt. 2. Das Buch gibt einen, nur einen einzigen Hinweis, der auf eine spezifische Person hinweist. Um fair zu sein, dieser Hinweis ist auf der schriftstellerischen Ebene wirklich gut, davon hätte ich gerne mehr gelesen. Doch stattdessen konnte ich mich sehr häufig nicht des Gefühls erwehren, dass Claras Ermittlungen kaum voranschreiten. Bedingt durch diese Defizite geht der Miträtselfaktor fast völlig verloren und damit einhergehend leidet auch das Spannungslevel von „Krähenmann“. Zwar wird es schon früh auf ein durchaus akzeptables Niveau gehoben, doch exakt dort bleibt es auch bis 20 Seiten vor dem Ende.
Ein weiterer Grund für das eben angesprochene ist der Fakt, dass der Klappentext lügt. Entgegen seiner Behauptung, der Krähenmann würde Lara ab einem bestimmten Zeitpunkt aufs Korn nehmen, weiß er bis zum Finale nicht einmal dass, sie existiert. Das ist wirklich sehr bedauerlich, da ich mir aufgrund des Klappentextes eine wesentlich andere Geschichte vorgestellt habe, die mir im Nachinein betrachtet auch mehr zugesagt hätte, nämlich folgende: Nach dem zweiten Mord beginnt Clara zu ermitteln und kommt dabei dem Krähenmann gefährlich nahe, weswegen er auf die Gelegenheit lauert Clara zu liquidieren, was sie – klug wie sie ist – jedoch ahnt und aufgrunddessen besonders vorsichtig und sehr darauf bedacht ist, dem Mörder keine Gelegenheit zu geben, sie alleine zu erwischen.
Um meine Rezension mit einer positiven Note zu beenden: Das Thema Mobbing wird gut behandelt
(auch wenn hier immer noch viel ungenutztes Potential ist, aber ich möchte einmal nicht so sein) und fernab dessen legt das Buch überzeugend dar weshalb der Tod keine Lösung ist.
Außerdem bietet das Buch mit dem mysteriösen „Ratgeber“ eine interessante neue Facette, dessen Identität während einer Begegnung mit dem Krähenmann jedoch sehr plakativ verschleiert wird.

Fazit:

„Krähenmann“ macht vieles gut und richtig, was aktuelle Jugendkrimis falsch und schlecht machen.
Die Figuren sind tatsächlich Charaktere und nicht nur Träger dunkler Geheimnisse. Clara Hansen ist eine exzellente Hauptperson und die Morde stellen keine Verkettung unglücklicher Umstände dar sondern sind von einer antagonistischen Hand mit Vorsatz und Bedacht ausgeführt. Leider jedoch lassen andere immens wichtige Aspekte wie die Handlung, die Ermittlungen, der Miträtselfaktor und der Realismus (welcher auch bei dieser Art von Büchern zumindest in Ansätzen vorhanden sein sollte) doch sehr zu wünschen übrig. Ich gebe Krähenmann wohlwollende 4 von 5 Sternen mit Tendenz nach unten.