Die Wandlung

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Von

KRASS
Von Martin Mosebach
Roman. Rowohlt Verlag, 528 Seiten, € 25,00

Der Roman „Krass“ von Martin Mosebach stellt eine echte Herausforderung für Leserinnen und Leser dar. Der Einstieg fällt leicht. Mit Hilfe eines Zaubertricks werden die Grenzen des Möglichen geöffnet. Schon ist der Weg frei für neue Begegnungen und Entdeckungen. Doch es wäre verkehrt, den Roman zwischendurch oder auf die Schnelle zu konsumieren. Sich einlassen auf das opulente Werk, sich mehr Zeit zu nehmen, die Dinge besser zu verstehen und zu genießen, das ist unverzichtbar.

Nicht nur die zahlreichen Figuren werden einem nahegebracht, sondern auch die kunstgerechte Sprache des Autors ist außergewöhnlich generös und damit ganz schön krass. Sie wirkt magisch, verführerisch, lässt einen nicht wieder los. Im Vordergrund des Romans Krass stehen Liebe, Geld und Magie, die von Ralph Krass, der Titelfigur, ausgehen. Das klingt zunächst banal, ist aber längst nicht alles.

Stellen sich im Laufe der Entwicklung erst einmal weitere erzählerische Sphären, Traum- und Gedankenwelten, Städtebeschreibungen (Neapel, Kairo) und Begegnungen mit Charakteren der überraschenden Art ein, eröffnet sich beim Lesen die Vielfalt der Phantasie mit allen Risiken und Nebenwirkungen. Gewollte Zufalls-Ebenen und enge Versteckspiel-Nischen gesellen sich dazu. Der Lesestoff ist gewaltig und nicht in einem Rutsch zu schaffen. Pausen sind deshalb erforderlich.

Aufgeteilt ist der Roman in drei Abschnitte: Allegro imbarazzante, Andante pensieroso, Marcia funebre. Also: Peinliches Allegro, melancholisches Andante und ein finaler Trauermarsch. Auf den über 500 Seiten finden sich nach dem mitreißenden Auftakt in Neapel durchaus diverse Irrwege oder Abschweifungen, Orts- und Perspektivwechsel und eine Fülle von Gedanken, die im Kopf der Leser*innen noch lange nachschwingen. Zufälle gibt es reihenweise. Sie sind natürlich gewollt, wirken jedoch durchschaubar. Das muss so sein.

Was letztlich bleibt ist das Porträt eines Geschäftsmannes, der ganz zum Schluss seine menschliche Seite und damit auch seine Schwächen zeigt. Eine Wandlung, die überrascht.

Sprache in Bestform ist es, die diesen Gesellschafts-Roman prägt und damit fehlende Spannung ersetzt. Erst das geschriebene Wort in großartiger Formulierungskunst manifestiert im Text von Anfang bis Ende das, worauf es ankommt: Sprache als Mittel zum Zweck, den Dingen Leben einzuhauchen, überhaupt erst nachvollziehbar zu machen: Mal in den Dialogen, mal in den ironischen Betrachtungen des Autors Mosebach. In einprägsamen Bildern wie in unvergesslichen Figuren. Immer wieder taucht das Motiv der Spiegelung auf.

Leser*innen werden sich unvermittelt in einem Kaleidoskop zwischenmenschlicher Beziehungen, falscher Entscheidungen und trügerischer Momente wiederfinden. Aber der Kopf muss frei sein für dieses Geflecht an Regeln, Wegweisungen und Erscheinungen.

Zu den brillanten Szenen zählen stimmungsvolle Konstellationen voller Selbstzweifel und Größenwahn, kurze Aussagen mit starker Wirkung und ebenso bemerkenswerte Gefühlsbeschreibungen. Angereichert mit der Gewissheit, dass Vieles ohne die Macht der Sprache gar nicht denkbar wäre. Das allein trägt. Wer es nicht glaubt, sollte einige Passagen laut vor sich hin lesen.

Kritikpunkte lassen sich nicht vermeiden. Der starke Anfang des Romans zerfasert im weiteren Verlauf durch die Zerteilung der Protagonisten. Außergewöhnliche Höhepunkte fehlen. Krass ist ein Roman, der durch seine Üppigkeit glänzt und von Detailfreude lebt. Handlungen ergeben sich stets sprunghaft. Mit nachhaltiger Wirkung. Die Erzählweise variiert, wird durch Rückblicke, Tagebuchaufzeichnungen und später nachgereichte Erklärungen ergänzt. Was passiert, das passiert. Mal langweilt es, mal wird es zum Happening. Neue Erkenntnisse sind nicht zu erwarten. Warum auch! Hauptsache das Lesen wird zum Vergnügen. Gerade deshalb werden Leser*innen sagen: Ein tolles Buch!