Ein Name ist Programm

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Der Roman setzt sich aus drei Teilen, die mit musikalischen Vortragsbezeichnungen überschrieben sind, zusammen. Im ersten Teil, dem „Allegro imbarazzante“, lernt man eine außergewöhnliche Reisegesellschaft in Neapel kennen. Die Gruppe schart sich um den Geschäftsmann Ralph Krass, dessen Name Programm ist. Mit imposanter Statur, Durchsetzungsstärke, scheinbar unbegrenztem Reichtum und ebensolcher Gastfreundschaft strahlt er Dominanz und Härte aus. Frisch eingestellt wurde Doktor Jüngel, ein unerfahrener, beflissener Akademiker, der das Reiseprogramm organisiert und sämtliche Kosten begleicht: „Zu Beginn von Jüngels Tätigkeit in Neapel hatte er (Krass) ihm im Hotelzimmer einen Aktenkoffer übergeben, der mit Bargeld gefüllt war. „Ich wünsche, dass Sie die Verbindlichkeiten, die Sie in meinem Dienst eingehen, bar abwickeln. Sie notieren die großen Beträge und tragen mir die Summen jeden Morgen vor dem Frühstück vor. Rechnungen brauche ich keine. Ich weiß, was die Dinge kosten.““ (S. 22) Das Wertvollste für Krass ist die Zeit, die gilt es, nicht unnötig zu verschwenden. Krass greift sich, was er möchte, sein Wille ist das Maß der Dinge. So nimmt er überraschend Lidewine Schoonemaker, die Assistentin eines Zauberkünstlers, in seinen Hofstaat auf. Gemäß seiner Vertragsbedingungen wird sie großzügig ausgestattet. Krass genießt die junge Frau an seiner Seite, sexuelle Dienstbarkeiten sind jedoch nicht inklusive – sollte sie intime Beziehungen zu anderen Männern aufnehmen, würde das zur sofortigen Kündigung führen. Lidewine nimmt das Angebot an. Doktor Jüngel ist der Mann für alle Fälle. Er geht mit Lidewine einkaufen, er plant und ändert, liebedienert und bezahlt, er unterhält und übersetzt in verschiedene Sprachen und muss schließlich auch noch ein würdiges Anwesen finden. Jüngel ist stets bemüht, es seinem Chef Recht zu machen, sein Diensteifer grenzt ans Groteske, der subtile sarkastische Humor hat großen Reiz.

Womit Krass sein Geld genau verdient, wird nur angedeutet. Momentan sind es wohl Waffengeschäfte mit dubiosen Staaten. Das ist auch von untergeordneter Bedeutung. Dieser erste Teil lebt von der zwischenmenschlichen Dynamik und den Charakteren der Reisenden, die die Sehenswürdigkeiten Neapels erkunden, häufig Taxi fahren und immer wieder einen Einkehrschwung nehmen. Krass ist dabei das Zentrum: „Er kann Menschen buchstäblich wegzaubern, unsichtbar machen, mit einem Blick versinkt man in der Bedeutungslosigkeit.“, schreibt Jüngel an seine Verlobte Hella. Krass ist nicht gern allein. Welchen Nutzen er aus den Mitgliedern seiner Entourage zieht, wird ebenfalls nur rudimentär deutlich. Diese Leerstellen wecken aber das Interesse des Lesers, geben zu Spekulationen Anlass. Mosebach ist ein Romancier alter Schule, so streut er Spuren aus und verwendet eine umfassende Symbolik im Kleinen wie im Großen.

Im mittleren Teil „Andante pensieroso“ wird der Stil komplett gewechselt. Statt einem allwissenden Erzähler wird nun Jüngel allein das Wort erteilt und zwar durch seine Tagebuchaufzeichnungen, die etwa ein Jahr später einsetzen und sich über einen Zeitraum von etwa sechs Wochen hinziehen: „Ein schiffbrüchiger Passagier, der aus dem Strudel des Untergangs eine kleine verlassene Insel schwimmend erreicht hat – ist der eigentlich gerettet? Ich habe meine Lebenskatastrophe hinter mir gelassen, Deutschland den Rücken gekehrt, sitze nun in einem Haus, das nicht mir gehört, in menschenleerem Land.“ (S. 195)

Jüngel hat nicht nur seinen Arbeitsplatz verloren, auch seine Frau Hella, der er im ersten Teil noch verliebte Faxe schickte, hat ihn verlassen und sich einem anderen Mann zugewandt. Taten- und mittellos, in Selbstmitleid versunken sieht sich Jüngel als Opfer böser Mächte. Er leckt seine Wunden und telefoniert den beiden Menschen hinterher, die nichts mehr von ihm wissen wollen. Zunächst eine tragische Figur vollzieht sich mit Jüngel jedoch eine Entwicklung, die Reflexionen auf sein Leben sind interessant, zumal er uns an seinen Spaziergängen und Besichtigungen teilhaben lässt. So stellt er bei der Betrachtung einer alten Kirche fest: „ Das Alte kann nicht altmodisch werden, das Alte hat das Warten gelernt. Unablässig sinkt das Modische vor ihm dahin – obwohl es doch Ausdruck des Lebens ist. Als ob die wirkliche Probe der Dauer nur bestehen könnte, was vorher gründlich stirbt.“ (S. 237) Obwohl Jüngel selten Kontakte in der französischen Einöde hat, sind es doch die wenigen Begegnungen mit einfachen Menschen, die ihn beeindrucken und seinem Leben eine neue Richtung geben.

Der dritte Teil führt als „Marcia funebre“ nach Kairo – rund 20 Jahre sind seit der Reise nach Neapel vergangen. Im Mittelpunkt steht erneut Ralph Krass. Der Autor führt uns durch die staubigen Straßen der Stadt, durch Hotels und Cafes, man kann sich das Ambiente zwischen Prunk und Armut genau vorstellen. Es gibt ein Wiedersehen mit bekannten Figuren und ein würdiges Ende.

Über weite Strecken hat mich der Roman restlos überzeugt. Die Handlung ist kurzweilig und überraschend. Die Figuren werden vielschichtig geschildert. Sie sind außergewöhnlich, haben spezielle Vorlieben und Marotten. Die Gespräche, Episoden, das Zwischenmenschliche und nicht zuletzt der Ort der jeweiligen Handlung werden sehr bildhaft beschrieben. Es wird deutlich, dass Mosebach eine enge Verbindung zu allen drei Schauplätzen hat, sie genauestens kennt. Seine Formulierungskunst sucht ihresgleichen, mir hat der konservative, prägnante Stil sehr gut gefallen (allerdings irritierte mich die alte deutsche Rechtschreibung bei Begriffen wie Sopha oder Telephon).

„Krass“ ist ein literarisches Buch. Zahlreiche Symbole säumen den Text. Spiegel tauchen auf, Zauberei und Verwandlung, Wasser… Da gibt es viel zu entdecken, Zusammenhänge zu erfassen und Rückschlüsse zu ziehen. Mosebach beschreibt Szenen mit Tieren, die Anlehnung an Fabeln nehmen und für sich schon interpretierbar sind – dazu passt auch das wunderschöne Titelbild mit der sich im Wasser spiegelnden Bachstelze. Auch märchenhafte Elemente finden Eingang in den Roman: Im letzten Teil bekommt das Märchen vom verlorenen Sohn eine neue Ausprägung, da gibt es viele Zufälle… Der Zusammenhang zwischen den drei Teilen – ähnlich einem Musikstück mit mehreren Sätzen – ist relativ lose.

Für mich war es das erste Buch von Martin Mosebach, von dem ich unbedingt weitere Bücher kennenlernen möchte. Mit 4 von 5 verdienten Sternen empfehle ich den Roman, der sich auch ideal für Lesekreise eignet, gerne weiter.