Vom Aufstieg und Fallen

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Eine Bachstelze liebäugelt mit ihrem Spiegelbild – ein Symbol des Narzissmus und des gewaltigen Protagonisten Ralph Krass. Ein derber, opulenter Machtmensch mit Geld im Überfluss, kunstversiert und manipulativ. Er kann sich jeden und alles kaufen, die Bonität schafft er sich aus Waffen- und Ölgeschäften. Jüngel ist sein treu ergebener, nervös-blasser Sekretär und stiller, präziser Beobachter der Geschehnisse – er regelt den reibungslosen, organisatorischen Ablauf der Reisen und Erlebnisse von Krass inklusive seinem Tross an Gefolgschaft, die er bei Laune hält.

Mit einer bunten, kuriosen Ansammlung von plastisch geschilderten Charakteren ist der 500 Seiten starke Roman, der auch als Gesellschaftssatire gedeutet werden kann, in drei Teilen aufgeteilt – multiperspektivisch und in unterschiedlichen Ländern und Zeiten. 1988 geht’s für alle nach Neapel; Krass ist auf dem Zenit und lebt ein ausschweifendes Leben, an dem alle (undurchsichtig mit seinen Geschäften verbundenen) teilhaben können – Bootsausflüge, Restaurant- und Museumsbesuche, sehr viel Champagner und Situationskomik. Krass kommt für alles auf und wird umschwärmt. Auch Lebenskünstlerin Lidewine Schoonemaker stößt dazu und wird eine Begleiterin von Krass – er hat sie vorher einem Zauberer als Assistentin ausspannen lassen.

„Herr Krass allein war an sich schon wirkungsvoll genug, aber die junge Frau steigerte das. König und Königin. Es gab der Macht erst ihre Abrundung, wenn zur Kraft die Anmut, zur Düsternis das Lächeln traten.“

Ein Jahr später hört der Leser die Perspektive aus Jüngels Tagebucheinträgen – in Frankreich reflektiert er niedergeschlagen über das Vergangene und seine gescheiterte Ehe. Jüngel freundet sich mit einem Schuster an, mit dem er so einiges Abenteuerliches erlebt. Im Jahr 2008, im fulminaten Finale des Romans, treffen durch viele Zufälle in Kairo Lidewine, Jüngel und Krass wieder zusammen. Jüngel und Lidewine haben in ihrem Leben einiges erreicht, Krass ist pleite – hegt aber selbstbewusst wieder monetäre Pläne und lässt sich von sich von einem Mann namens Mohammed retten. Mehr sei hier nicht verraten, da der Abschluss eine überraschende Wende bereithält.

Martin Mosebach kann provozieren und der Gesellschaft den Spiegel vorhalten – ausladend, detailreich, ironisch, humorvoll und mit präziser Erzählkunst sowie karikaturhafter Komik hat er ein Psychogramm eines Narzissten entworfen, das gleichzeitig eine zeitlose Charakter- und Gesellschaftsstudie ist. Bildgewaltige Umgebungsbeschreibungen treffen auf komplexe Charaktere und Verweise – wenn auch mitunter etwas altmodisch im Schreibstil, wird es dem aufmerksamen Leser hier mit den vielen kleinen, einprägsamen Geschichten und präzisen Beobachtungen nie langweilig.