Ein Buch mit deutlichen Schwächen

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Eine düstere Atmosphäre herrscht in Julja Linhofs Debutroman "Krummes Holz".

Nach fast sechs Jahren kehrt Jirka zurück zu seinem Elternhaus, einem Hof in Westfalen. Mit 14 wurde er aufs Internat geschickt, mit 19 Jahren betritt er zum ersten Mal wieder das elterliche Anwesen. Aufgenommen wird er alles andere als freundlich. Es herrscht eine kühle, beklemmende Atmosphäre auf dem Hof. Bald wird klar, dass Jirka auf dem Hof Schlimmes erlebt haben muss.

Das impressionistisch wirkende Titelbild des Romans verweist auf den Schreibstil der Schriftstellerin. Es geht ihr um die inneren Gefühle, nicht um eine spannungsgeladene Handlung.

Das ist auch einer der Gründe, weshalb ich mit diesem Roman hadere. Es passiert einfach nichts. Es gibt gerade am Anfang sehr viele Andeutungen, aber sie bleiben vage, unklar - und das ändert sich bis zum Schluss des Buches auch kaum. So sorgen all die Anspielungen auf in der Vergangenheit Geschehenes eben gerade nicht für Spannung, sondern sind eher nervig und machen das Lesen etwas mühsam. Auch dass der Vater nicht anwesend ist und seine Abwesenheit auch gar nicht diskutiert wird, macht das Buch nicht spannender. Auch die Frage nach der Zukunft des Bauernhofs - Malene würde ihn übernehmen, das will aber Vater Georg nicht - ist kein Spannungsthema.

Auf der anderen Seite gefällt mir an dem Buch sehr, wie die Figuren charakterisiert sind. Sie sind nicht schwarz-weiß gemalt, sondern mehrdimensional. Vor allem Jirka, die Hauptperson, ist in sich zutiefst widersprüchlich, agiert ambivalent. Aber auch seine Schwester Malene und Leander, der bereits in Jirkas Jugend auf dem Hof ausgeholfen hat, sind äußerst kantig dargestellt. Aus meiner Sicht ein absolutes Qualitätsmerkmal für ein Buch.

Dass Jirka in seiner Jugend eine "Erschütterung" erlebt hat, wird nach und nach deutlich. Noch immer hat er Albträume davon. Allerdings rächt sich hier aus meiner Sicht die personale Erzählperspektive. Da alles aus der Sicht von Jirka beschrieben ist, wirkt die rückblickende Beschreibung des traumatischen Erlebnisses in ihrer bruchstückhaften Beschreibung gerade nicht so schrecklich, wie sie wohl war. Da sich Jirka nicht wirklich auf seine Vergangenheit einlassen kann, auf das, was zwischen ihm und einem Fremdarbeiter geschehen ist, kann auch deren Beschreibung nicht umfassend sein. Das ist umso bedauerlicher, da ein personaler Ich-Erzähler ja eigentlich den Blick in sein Inneres viel mehr öffnen könnte.

Gefallen wiederum hat mir, dass das Thema der Homosexualität sehr feinsinnig und vielschichtig angegangen ist. Neugier, Ekel, Anziehungskraft, Vertrauen, sich aufeinander einlassen, ein verspätetes Coming-out: all das spielt eine Rolle in Linhofs Roman. Dazu kommt, dass Jirka sich auch verstärkt mit seinen Zeichnungen auszudrücken versucht.

So gar nicht überzeugt hat mich der Schluss des Romans. Viel zu vieles bleibt offen, und der Umgang mit dem Vater ist nicht nachvollziehbar.

Sprachlich hat mich der Roman nicht ganz überzeugt. Einerseits gibt es vieles, was sehr anschaulich und ansprechend beschrieben ist. Aber es gibt doch einige sprachliche Bilder, die sehr überbordend sind, wenn Jirka etwa "in Leanders Körper einfallen" will oder wenn Jirka weint. Da weint er nicht einfach nur, sondern weint "trübweißes Wasser in den zerfasernden Spülschaum". Unverständlich wird es, wenn die Finger des Vaters sich aus dem Dickicht der Kindheit und Jugend "häkeln"  wie auch das zusammengewachsene Innere Jirkas mit einem offenen Spalt in der Mitte, durch den es pfeift und zieht.

Immerhin: am Ende des Romans beginnen Jirka, Malene und Leander tatsächlich miteinander zu reden, statt einen Eiertanz aufzuführen. Retten kann das die Schwächen des Buches aber nicht.