Kuchen und Lebenshilfe von Mama Grace

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Mrs. Margaret Wanyika war für Angel eine besonders wichtige Kundin. Angels' Kuchen und Tortenservice in Ruandas Hauptstadt Kigali lebt von Mund-zu-Mund-Propaganda und deshalb hofft Angel, dass ihre Torte zur Silberhochzeit des tansanischen Botschafters und seiner Frau ihr viele neue Kunden bringen wird. "Ein guter Name leuchtet im Dunkeln", davon ist Angel überzeugt. Doch Mrs. Wanyikas Tortenbestellung wird für Angel eine einzige Enttäuschung: die Wanyikas möchten eine weiße Torte, keine fröhlich-bunte wie Angel sie sich vorstellt. So etwas Farbloses würden doch nur Wazungu – Ausländer - bestellen und kein afrikanische Ehepaar. Angel und ihr Mann Pius sind aus Tansania nach Ruanda gekommen, weil Pius hier besser verdienen kann. Anstatt im Alter langsam kürzer zu treten, müssen die beiden ihre fünf Enkelkinder aufziehen, nachdem Sohn, Tochter und Schweigersohn früh verstorben sind. Der Sieben-Personen-Haushalt ist dringend auf Angels Einkünfte aus ihrem Tortenverkauf angewiesen. Im Gespräch zwischen Mrs. Wanyika und Angel wird deutlich, wie sorgsam die Botschafter-Gattin das Thema HIV-Infektion vermeidet und dass auch Angel eine sehr eigenwillige Art hat, den Tod ihrer Kinder zu erklären. Mama Grace wird Angel von den Nachbarn genannt, eine Bezeichnung, die eigentlich ihrer verstorbenen Tochter Vinas zusehen würde; denn Grace ist Angels älteste Enkelin. Angel ist stets genauestens informiert, was in dem Mehrfamilienhaus vorgeht, in dem sie mit Pius und den Kindern wohnt. Was sie über ihre von ausländischen Hilfsorganisationen fürstlich bezahlten weißen Mitbewohner erfährt, lässt sie oft den Kopf schütteln.

 

Jeder Kunde, der bei einer Tasse gesüßtem Tee seine Tortenbestellung mit Angel bespricht, hat ein persönliches Schicksal, das eng mit dem Bürgerkrieg in Ruanda verknüpft ist. Besonders die jungen Frauen, weiße wie schwarze, scheinen Angels Ratschläge dringend zu benötigen. Ob es die Nachbarin Amina ist, Bosco, der Chauffeur eines ausländischen NGO-Mitarbeiters oder die Barfrau Francoise, allen tut es gut mit einer neutralen Person zu sprechen, die nicht zur Familie gehört. In Kigali ist das Zusammenleben der Menschen verschiedener Nationalitäten - und aus verschiedenen afrikanischen Staaten – kompliziert genug, um es noch zusätzlich mit persönlichen Erinnerungen an den Bürgerkrieg zu belasten. Deshalb wird außerhalb von Angels Küche über die Vergangenheit meist geschwiegen. Angels Küchengespräche vermitteln dem europäischen Leser afrikanisches Lebenstempo. Wer etwas mit Angel besprechen möchte, fällt besser nicht mit der Tür ins Haus, sondern zeigt seine Achtung gegenüber "Mama", der älteren Frau, indem er sich dem Kern des Gesprächs allmählich nähert. Gegensätze zwischen den Nachbarstaaten Ruanda und Tansania kommen in den Gesprächen auf Angels Tisch, das Älterwerden, die Rolle von Mann und Frau in Afrika, immer wieder das Thema Aids und auch dass viele Kinder in Ruanda noch immer Angst vor Krieg und Gewalt haben. Der Völkermord von 1994 prägt auch heute noch das Leben der Menschen in Kigali. 

 

Wie in einem Puppenhaus öffnet Gail Perkin Türen in das Leben all der Besucher, deren Wege sich bei Angel kreuzen. Die Autorin verknüpft virtuos Unterhaltung und Information über den afrikanischen Alltag. Schon im ersten Kapitel ihres Buches lässt Gail Perkin, die aus Sambia stammt, so im Kopf ihrer europäischen Leser ein Bild des modernen Ruanda entstehen. Angel muss zum Lebensunterhalt der Familie beitragen, sie hat selten Muße, zurückzuschauen. Trotz eigener Sorgen um die Zukunft der Enkel kann Angel die Augen nicht davor verschließen, dass es allein in ihrer Straße Kinder ohne Eltern und Eltern ohne Kinder gibt. So wird die Hochzeit zwischen Leocadie, die einen kleinen Laden betreibt, und ihrem Freund zur Bewährungsprobe für Angels Organisationstalent. Leocadie und ihr Mann haben beide keine Angehörigen mehr.  Die rundliche Afrikanerin bäckt für Leocadie nicht nur die Hochzeitstorte, sie organisiert die gesamte Hochzeit wie sie es für ihre eigene Tochter tun würde.

 

Eh – (Ja) - die Entscheidung, was ich an diesem Buch zuerst loben soll, fällt mir schwer. Die hinreißende Figur der Angel, die sich mehr Aufgaben auflädt als man jemand in ihrem Alter zutrauen würde? Wie einfach die Geschichten aus Angels Leben uns ein Land verstehen lassen, in dem elternlose Kinder zurückbleiben, weil ihre Eltern jung an AIDS gestorben sind?  Wie Gail Perkin am Beispiel Modestes das Verhältnis zwischen Mann und Frau in Afrika illustriert, das Grund für viele der aktuellen Probleme ist? Angel, ihre Familie und  die anrührenden Schicksale ihrer Nachbarinnen werde ich so bald nicht wieder vergessen.