Überlebende

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buecherfan.wit Avatar

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Im Mittelpunkt von Gaile Parkins Roman steht Angel Tungaraza. Sie stammt aus Tansania und ist mit ihrem Mann Pius nach Kigali in Ruanda gezogen, wo sie nun in einem Wohnblock mit Menschen aus vielen Ländern wohnen, die alle beim Wiederaufbau Ruandas helfen. Pius hat einen Job an der Universität, Angel trägt als professionelle Kuchenbäckerin zum Familieneinkommen bei. Zur Familie gehören noch fünf verwaiste Enkelkinder und ihr Kindermädchen. Der Sohn der Tungarazas ist drei Jahre zuvor erschossen worden, der Tod der Tochter ein Jahr zuvor wird zunächst mit Stress und Überarbeitung erklärt.

Der Titel benennt, worum es in dem Roman vordergründig geht: Angel nimmt Bestellungen für ihre ganz besonderen, allseits geschätzten Kuchen entgegen. Die 14 Anlässe, für die sie ihre individuell. gestalteten, kunstvoll verzierten Kuchen herstellt, sind gleichzeitig das Gliederungsprinzip des Romans. Bei einer Tasse traditionell zubereitetem Tee mit Kardamom und gekochter Milch wird das Geschäftliche besprochen und der Preis ausgehandelt. Von daher ist der Ablauf immer derselbe und wirkt wie ein Ritual. Bei jedem dieser Anlässe wird jedoch auch eine Geschichte erzählt, und es wird eine Vielzahl von Themen abgehandelt wie z.B. Aids und die Folgen, Kindersoldaten, die Situation der Straßenkinder, Genitalverstümmelung und natürlich immer wieder der Völkermord, der in diesem Roman allgegenwärtig ist.. Angel ist eine gute Zuhörerin, sie berät ihre Kunden und vermittelt bei Konflikten und hilft, wo sie kann.. In einem Fall betätigt sie sich als Kupplerin und bringt sogar ein Paar zusammen, das sich zuvor nicht kannte. Der Höhepunkt des Romans ist die Hochzeit, die sie für die junge Leocadie und ihren Verlobten Modeste ausrichtet. Leocadies Mutter sitzt im Gefängnis und ist als génocidaire angeklagt, als Beteiligte am Völkermord. Der Wachmann Modeste hat  seine ganze Familie verloren. Mit Angel erfährt auch der Leser diese persönlichen Geschichten über Familienleben und tiefe Freundschaft. Doch die Erzählungen und die feierlichen Anlässe, für die ein besonderer Kuchen benötigt wird, sind überschattet von den Ereignissen der Vergangenheit. Es ist kein Zufall, dass Parkin die Handlung sechs Jahre nach dem Völkermord von 1994 einsetzen lässt. Die meisten, die hier zu Wort kommen, haben Furchtbares erlebt, haben zusehen müssen, wie ihre nächsten Angehörigen ermordet wurden, sind selbst verletzt oder verstümmelt worden. Zwar ist die offizielle Linie die der Einheit und Versöhnung - es gibt nur noch Ruander, keine Hutus und Tutsis mehr -, aber die Wunden der Vergangenheit sind noch lange nicht verheilt.

Auch Angel und ihr Mann Pius benötigen einen solchen Heilungsprozess. Die furchtbaren Erlebnisse ihrer Kunden ermöglichen es schließlich auch Angel, sich der ihre eigene Familie betreffenden Wahrheit zu stellen und mit ihrem Mann und anderen offen darüber zu sprechen. Gaile Parkins Roman ist außerordentlich warmherzig und anrührend und lässt trotz der geschilderten Gräuel Raum für Hoffnung. Es sind gerade die weiblichen Überlebenden, die durch ihre Kraft, ihren Mut und ihre Lebensfreude überzeugen. “Kuchen backen in Kigali” ist ein schöner, lesenswerter, allerdings nicht besonders spannender Roman, da gerade das Strukturprinzip der 14 Anlässe für Kuchenbestellungen mit dem ritualisierten Ablauf für eine gewisse Gleichförmigkeit sorgt.