Spannend aber mit ein paar Längen

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sleepwalker1303 Avatar

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Interfamiliäres Drama kostet auch noch Jahrzehnte später die Leben Unschuldiger. So würde ich Camilla Läckbergs neues, lange erwartetes Buch „Kuckuckskinder“ kurz zusammenfassen. Fünf Jahre nach „Die Eishexe“ hat sie den elften Teil ihrer Fjällbacka-Serie um Autorin Erica Falck und ihren Mann, den Polizisten Patrik Hedström, vorgelegt. Obwohl ich ein großer Fan der Serie bin, muss ich sagen, dass mich das Buch etwas zwiegespalten zurücklässt. Es ist wie eine Achterbahnfahrt mit (zu) langen flachen Passagen, die gegen Ende rasant spannend wird.
Aber von vorn.
In Fjällbacka laden Henning Bauer und seine Frau Elisabeth zur Feier ihrer goldenen Hochzeit ein. Ein rauschendes Fest mit viel Alkohol und Tanz – das Paar ist ja nicht irgendwer. Henning ist ein berühmter Autor und als möglicher Literaturnobelpreisträger im Gespräch und Elisabeth ist eine erfolgreiche Verlegerin. Noch während die Gesellschaft feiert, wird in der Stadt ein Freund des Paares, der Fotograf Rolf Stenklo, in seiner Galerie ermordet. Er war dabei, eine Ausstellung vorzubereiten, die eine Reise in die Vergangenheit darstellen sollte. Während Patrik und seine Kollegen in dem Mordfall ermitteln, stößt Erica auf einen mysteriösen Todesfall in Rolf Stenklos Vergangenheit und stellt ihre eigenen Recherchen für ein neues Buch an. „Lola“ ist der Name, der immer wieder auftaucht, eine trans Frau und Mutter, die 1980 zu Tode kam. Während sie erschossen wurde, kam ihre sechsjährige Tochter Julia, genannt Pytte, bei einem Feuer in der Wohnung ums Leben. Wie Lola und Rolf, aber auch Henning und Elisabeth zusammengehören, ist für Erica lange ein Rätsel. Während sie entwirrt, wie die Fäden bei „Blanche“, einem elitären „Kulturverein“ zusammenlaufen, passieren in Fjällbacka weitere schreckliche Morde und Patrik stößt an seine Grenzen.
Die Idee hinter dem Buch ist gut, sprachlich ist es (bis auf einen ärgerlichen Rechtschreibfehler auf der letzten Seite) ebenfalls gut und sehr leicht zu lesen. Der Spannungsbogen verläuft allerdings wie exponentiell: er steigt sehr langsam und schleppend, ist er aber dann mal in Fahrt, dann steigt er stark an, das Buch wird packend und man möchte es nicht mehr aus der Hand legen. Die Themen, die Camilla Läckberg aufgreift, sind unter anderem Familientragödien und LGBTQ+. Verarbeitet werden diese sensibel, vor allem das Thema trans Frau als Mutter, aber alles in allem für meinen Geschmack ein wenig zu stereotyp. Leider war der Schluss für mich zu vorhersehbar und das Buch wurde insgesamt nicht zu dem Highlight, das ich mir gewünscht hätte.
Alles andere ist, wie man es aus den anderen zehn Teilen der Serie gewohnt ist: Patrik zeigt in den Ermittlungen wieder Kompetenz und Überblick und ist der ruhende Pol unter den Kollegen. Erica recherchiert für ihr neues Buch so, wie sie es sonst auch macht. Etwas planlos, impulsiv und – wie immer erfolgreich. Wer die Serie kennt, freut sich unter anderem über ein Wiedersehen mit Polizeichef Bertil Mellberg und seiner Lebensgefährtin Rita (sie müssen mit Ritas Krebsdiagnose klarkommen), den Polizisten Gösta Flygare, Paula Morales, Martin Molin und Ericas Schwester Anna. Ebenso ist die Leserschaft auch parallel erzählte Handlungsstränge von der Autorin gewöhnt, die zum Schluss stimmig verflochten werden. Da bildet auch dieses Buch keine Ausnahme. Die Langatmigkeit der Erzählung kannte ich von der Autorin jedoch nicht. Für mich brauchte die Geschichte zu viel Zeit, um in Fahrt zu kommen. Der Umgang mit dem Thema trans Menschen ist meiner Meinung nach gelungen.
Insgesamt hat das Buch zu viele Längen, die aber durch die spannenden Passagen und den sensiblen Umgang mit dem Thema trans Menschen und dem hohen Spannungslevel gegen Ende wettgemacht werden. Ich empfehle, die anderen Bände (oder wenigstens ein paar davon) vorher zu lesen um ein paar Vorkenntnisse bezüglich der Ermittler und ihres Umfelds zu haben. Aber natürlich ist das Buch auch ohne diese lesenswert und verständlich. Von mir gibt es vier Sterne.