Kühn ist zurück - zwischen IKEA-Sofa und Bonsai-Parkett

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
courfeyrac Avatar

Von

Ich mochte schon den ersten Band, obwohl ich die Mischung aus Krimi und Gesellschaftsroman in "Kühn hat zu tun" noch etwas sperrig fand. Da wurde ein Bild der Gesellschaft am Beispiel einer neuen Trabantensiedlung gezeigt, die überraschend von den Hinterlassenschaften des zweiten Weltkriegs heimgesucht wird. Als würde das allein nicht schon ein Buch füllen, wurde die Geschichte um die problematischen Verhältnisse im Mikrokosmos Familie des Münchner Kommissars Martin Kühn erweitert, einschließlich Eheproblemen, Entführung der Tochter und Distanzierung des Sohns vom Vater, hin zu einer rechtsradikalen Gruppierung. Und dann garnierte Jan Weiler das ganze noch mit einer ordentlichen Portion Krimi, und davon nicht nur ein Häppchen. Gleich mehrere Fälle gab es zu lösen. Einer davon wurzelte sogar tief in Kühns Vergangenheit. Das Buch wollte ganz viel sein - und das hätte auch ins Auge gehen können - schaffte es aber doch die unterschiedlichen Elemente miteinander so zu verweben, dass alles einen logischen Sinn ergibt.

Nun aber zu der Fortsetzung, die viel zu lange auf sie warten ließ (Ich musste mir im Internet eine Zusammenfassung suchen, um wieder vor Augen zu haben, was im ersten Teil passierte war). Es vereinfacht die Sache natürlich, dass das gesamte Szenario um Kommissar Kühn bereits im ersten Band ausführlich aufgebaut wurde. So bleibt mehr Luft für die konkrete Handlung und das Buch wirkt im Ganzen leichter und weniger angestrengt als sein Vorgänger.
Für den Hauptfall lässt Jan Weiler zwei Welten aufeinandertreffen. Julia aus einer enorm wohlhabenden Münchner Familie trifft auf ihren Romeo, der hier Amir heißt und als mehrfach vorbestrafter Jugendlicher mit ausländischen Wurzeln vom anderen Ende der Gesellschaft herkommt. Trotzdem wird er freundlich in ihrer Familie aufgenommen, deren heutiger Reichtum im Nationalsozialismus begründet wurde. Amir blüht auf, sein Leben verbessert auffällig sich in rasantem Tempo. Sein altes Leben, einschließlich Freunden und Familie streifte er in wenigen Monaten praktisch vollständig von ab. Doch dann wird er ermordet an einer Haltestelle gefunden.

Kühn hat sich von den Ereignissen aus Band eins professionell erholt und gerade seinen Dienst wieder angetreten. Er ermittelt in dem Fall und lernt über Julias Familie eine Welt kennen, die ihm wie auf einem anderen Stern vorkommt. Unglaublicher Reichtum und offensichtlich auf allen Ebenen sorgenfreie, nette und zuvorkommende Menschen die einfach gut sind weil sie es sich leisten können, wie es an einer Stelle im Roman heißt. Stets stellt Kühn Vergleiche zu seinem Leben an. Wie er kämpfen muss um nicht das "Ticket nach unten" zu bekommen. Zuhause hat er den Verdacht, dass seine Frau ihn betrügt. Bei der Arbeit stellt sich heraus, dass sein Freund und Kollege darauf aus ist ihn bei der nächsten Beförderung auszubooten um ihn auf der Karriereleiter zu überholen, und Gesundheitlich trägt er buchstäblich die Altlasten aus dem ersten Teil mit sich herum. Auch auf der Weberhöhe, Kühns Siedlung, zeigt sich wieder kriminelle Energie. Der Supermarkt wird erpresst und es kommt zu tragischen Opfern. Auch hier steht Kühn an mehreren Fronten.

Das Buch liest sich sehr flüssig. Jan Weiler schreibt vorwiegend in der beobachtenden Perspektive, mal ist man bei Amir, mal bei Kühn oder anderen Beteiligten. Doch hier und da kommt Kühn auch direkt zu Wort. Er durchbricht dabei nicht wirklich die vierte Wand, es ist bei den kursiven Stellen eher so, als befände man sich in Kühns Kopf und hört seine Gedanken. Das verstärkt natürlich die Bindung an den Hauptcharakter. Insgesamt wieder ein toll konstruierter Gesellschaftskrimi von Jan Weiler bei dem das Whodunnit weniger wichtig ist als das Drumherum. Um die Szenerie und damit den Charakter der Welt einzufangen geht der Autor ab und zu sogar dazu über, mehrere Seiten mit der Beschreibung von IKEA-Sofas und Bonsai-Parkett zu füllen. Bei der hohen Qualität des Ganzen fallen nett gemeinte Running Gags wie der Name REWEKA des Supermarktes oder der etwas zu oft genannte Schnippikäse (kennt man auch schon aus dem ersten Teil) negativ auf, wirken irgendwie billig, effekthaschend und beliebig.
Es bleibt zu hoffen, dass ein dritter Teil nicht so lange auf sich warten lässt. Immerhin zeigt sich ja, dass die Welt um Kühn nicht langweiliger wird. Zum Ende hin bleiben noch genügend Handlungsstränge offen.