Carpe diem

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buecherfan.wit Avatar

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In “Kurz bevor das Glück beginnt” erzählt Agnès Ledig die Geschichte der jungen Julie Lemaire, die mit 16 schwanger wurde und ihren Traum, Mikrobiologin zu werden, aufgeben musste. Sie ist alleinerziehende Mutter des dreijährigen Lulu und arbeitet seit etwa zwei Jahren als Kassiererin in einem Supermarkt. Der Job ist hart und stressig. Nach einem besonders unangenehmen Zwischenfall sieht der Kunde Paul Moissac, 51 ihre Traurigkeit und zeigt Mitgefühl. Er ist kürzlich nach 30 Jahren Ehe von seiner Frau Marlène verlassen worden. Obwohl die Ehe nicht glücklich war, kommt Paul mit seinem neuen Leben nicht zurecht. Spontan beschließt er, Julie und ihren Sohn Ludovic in sein Haus in der Bretagne ein. Sein Sohn Jérôme, ein junger Arzt, der unter dem Selbstmord seiner Frau leidet, ist mit von der Partie.

Trotz anfänglicher Widerstände vonseiten Jérômes wachsen die Vier schnell zu einer Art Kleinfamilie zusammen. Die freundschaftlichen Gefühle und die in kurzer Zeit entstandene menschliche Nähe sind dann auch dringend notwendig, denn das nächste Unglück steht schon bevor. In dieser schwierigen Phase bekommt Julie außerdem Hilfe von ihrer Freundin Manon und von dem Physiotherapeuten Romain Forestier, der Lulu behandelt.

In Agnès Ledigs berührendem Roman wird viel gestorben, gelitten und geweint, und die sensible Leserin weint mit. Es ist jedoch auch Platz für Humor und Zärtlichkeit, vor allem aber für die optimistische Botschaft der Autorin, die dieselbe leidvolle Erfahrung gemacht hat wie ihre Protagonistin. Sie vermittelt dem Leser den Rat, dass man auch nach furchtbaren Schicksalsschlägen nicht aufgeben darf. Das Leben muss weitergehen, geht ohnehin weiter auch ohne unser Zutun. Es gibt immer Höhen und Tiefen. So ist das Leben nun einmal, und das Glück ist nie von Dauer. Deshalb muss man jeden einzelnen Tag nutzen (“Carpe diem”, S. 309) und schwierige Phasen mit Mut angehen. Diese Botschaft wird explizit formuliert und für meinen Geschmack ein wenig zu häufig wiederholt. Auch wenn die Erfahrung von Liebe und Verlust aufgrund der Biografie der Autorin authentisch geschildert wird, ist der Ausgang der Geschichte wenig realistisch, um nicht zu sagen unwahrscheinlich. In neuen Konstellationen haben alle Protagonísten eine neue Chance auf ein glückliches Leben.

Gefühlvolle Frauenromane haben Konjunktur. Deshalb ist zu erwarten, dass dieses moderne Märchen auch bei uns die Leser begeistern wird wie schon 2013 in Frankreich.